BogomolovGattePolitisches Theater bei den diesjährigen Wiener Festwochen könnte nicht unterschiedlicher sein: Wenn der Russe Konstantin Bogomolov aus Bruchstücken von Oscar Wildes „Ein idealer Gatte“ von Scheinmoral und Korruption erzählt, paart sich Witz mit einem unbestechlichen Blick auf seine Heimat. Anders bei Oliver Frljics „Unsere Gewalt und eure Gewalt“, wo die Schuldgefühl-Keule im Rundumschlag gegen die kapitalistische Welt und Europa schwingt.

Vorlage und Inszenierung. Was die beiden Inszenierungen eint ist, dass der Text, der als Ausgangspunkt fungiert, nur mehr als Ideengeber in Erscheinung tritt: Für Oliver Frljics Arbeit ist es der Roman-Essay „Die Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss. Der bosnische Regisseur und derzeitige Leiter des Kroatischen Nationaltheaters, der für sein Wut-Theater berühmt-berüchtigt ist, richtet seinen zornigen Blick auf die heutige westliche kapitalistische Welt und sucht, nach Foucault, nach dem Faschismus in uns allen. Er wird - wenig überraschend, wie die jüngsten Entwicklungen in Europa zeigen – fündig. Sich selbst und seine Theaterarbeit schließt er erstaunlich wenig ein, in seine sonst sehr pauschalen Angriffe gegen eine -  so scheint es gemäß seiner Inszenierung – völlig homogene Gruppe von „kapitalistischen Westlern“. Diese trage, so könnte man interpretieren, die gesammelte Schuld von Generationen auf ihren Schultern. Eine Suche nach Perspektiven scheint den Regisseur dabei nicht zu interessieren.

Der russische Star-Regisseur Konstantin Bogomolov, der 2014 schon mit seiner genial absurden Sozialsatire „Stavanger (Pulp People)“ bei den Wiener Festwochen für Aufsehen sorgte, verwendet Oscar Wildes „Ein idealer Gatte“ als Folie, auf die er seine Gesellschafts-Satire schreibt. Dazu räubert er zusätzlich in Klassikern wie „Das Bildnis des Dorian Gray“, „Faust“, „Drei Schwestern“ und „Romeo und Julia“. Letzteres ein Stück, dass wie ein Textkommentar auf den Bühnenbildschirmen lakonisch ausdrückt, schon einen 400 Jahre alten Bart hat.  Sein Fett bekommt aber vor allem die Polit-Elite seiner Heimat ab, die Freunde und Familie „versorgt“, befreundete Künstler zu Volkskünstlern macht und Sportsfreundinnen mit Medaillen überhäuft.

Bogomolovs Überschreibung von Wildes „Ein idealer Gatte“ inspiriert sich am heutigen Russland und seinen kulturellen und politischen Spezialitäten. Aber auch für hiesiges Publikum bleibt dabei noch ausreichend an höchst erfrischender Satire als Ausbeute übrig. Im Zentrum steht „Lord“, ein zugleich größenwahnsinniger wie depressiver Ex-Killer, der aus Liebe zu seinem letzten Opfer den Beruf wechselte: Er ist jetzt Schlagerstar, der nach einem Einstandskonzert dem Kreml dankt, ohne den das alles – eine Anspielung auf die Zensur die das Stück erstaunlicherweise verschont hat - nicht möglich wäre. Mit großer Schwermut besingt er gewachsene Kulturgüter - Ahorn und Birke - während auf Bildschirmen grelle Russland-Werbefilme flimmern. Mit seinem Freund, Robert Ternow, verbindet ihn eine Herzensangelegenheit. Der ist Minister für Gummi-Angelegenheiten und versorgt seine Frau - dank seines politischen Einflusses – ausreichend mit staatlichen Aufträgen. Lords Ex-Geliebte Misses Cheavely spinnt nun eine Intrige: Sie hat ein Handy-Video, das Lord und Ternow beim gemeinsamen Liebesspiel zeigt. Die Beteiligten müssen verhindern, dass dieses Video in die Öffentlichkeit gerät. Es wäre sonst schwer, weiter Moral zu predigen, wenn die eigene Verworfenheit zutage tritt, meint Lord.

FrljicUnsereGewaltFrljic moralische Keule in „Unsere Gewalt und eure Gewalt“ ist gnadenlos. Sie führt -  im Hintergrund eine Wand aus Benzinkanistern – Männer und Frauen in orangefarbenen Arbeitsoveralls vor. Meist  sind es Flüchtlinge oder Kinder von Flüchtlingen, die schon vorbildlich integriert sind, wie sie erzählen. Sie entledigen sich ihrer Overalls, ihre nackten Körper sind mit arabischen Schriftzeichen versehen, die sie sich gegenseitig vom Körper lecken, nur eine junge Muslima behält dabei einzig ihren Hidschab am Kopf. Sie wird bald eine Österreich-Fahne aus ihrer Vagina ziehen. Später, nach Gedenkminuten an die Terroropfer von Paris und Brüssel, wird auch der von Europäern und Amerikanern Getöteten in der arabischen Welt gedacht. Vier Millionen Opfer zählt dabei Frljic auf ein „Schuldenkonto“. Solange diese Zahl an Terroropfern im Westen nicht erreicht sei, sei das Konto nicht ausgeglichen. Auf der Bühne sieht man Hinrichtungen. Mit starrem Blick zum Publikum werden langsam Kehlen durchgeschnitten oder Menschen erschossen. Auch die Theaterbesucher machen sich schuldig, weil Menschen sterben, während sie das Stück ansehen. Ihre Schuld sei schon dadurch besiegelt, dass sie Europäer seien. Während das Erdöl aus Syrien die Grenzen mühelos überwinde, hätten es die Menschen ungleich schwerer.

Bogomolov besticht durch seinen ironischen Blick auf die Gesellschaft, in der er lebt, mit seiner künstlerischen Überschreibung von Oscar Wildes Komödie „Ein idealer Gatte“. Frljics pauschale Schuldzuweisungen zielen auf bloße Provokation ab, die grell aufflammt, aber rasch verpufft. Die Aufführung beweist lediglich, dass grob vereinfachende Schwarz-Weiß-Pauschalierungen wenig zu einem sinnstiftenden Umgang mit den Problemen unserer Zeit beizutragen haben.

Konstantin Bogomolov: „Ein idealer Gatte.Komödie“, Halle E im Museumsquartier
Oliver Frljic: „Unsere Gewalt und eure Gewalt“, Uraufführung, Wiener Festwochen 2016, www.festwochen.at