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grenade

Fokus auf Community Dance. Das Festspielhaus St. Pölten leistet mit seinem Kulturvermittlungsprogramm seit vielen Jahren Pionierarbeit. Unter der künstlerischen Leitung von Joachim Schloemer entstanden zahlreiche spezielle Formate und das Workshop-Angebot wurde auf alle Altersklassen erweitert. Nun baut das Festspielhaus mit dem spannenden Community-Tanz- und Musikprojekt „alles bewegt“ seine führende Kulturvermittlungsrolle in Österreich aus.

Inspiriert von dem Community-Dance-Project „Sum of Parts“ des Sadler’s Wells Theatre London startete das Tanz- und Musik-Projekt „alles bewegt“ in St. Pölten mit einer Reihe Kick-Off-Veranstaltungen von 15. bis 18. Februar. 150 Laienperformer aller Alters- und Bevölkerungsgruppen aus Niederösterreich wirken dabei mit.

„Wie in London werden wir mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und SeniorInnen unterschiedlicher Herkunft zusammenarbeiten. Die verschiedenen Communities haben die Möglichkeit, über ein Jahr mit renommierten österreichischen und internationalen ChoreografInnen zu arbeiten,“ sagt Joachim Schloemer. „Wir wollen nachhaltige Prozesse starten und konsequent die von uns bereits aufgebaute Vermittlungsarbeit in St. Pölten und Umgebung weiterentwickeln.“

Das Herzstück der Arbeit bildet der Aufbau von bis zu sieben Communities mit jeweils zirka 20 Personen und einer fix definierten Probenzeit, die sich über ein Jahr erstreckt. Den Communities, die von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und SeniorInnen gebildet werden, von denen etliche noch keine Erfahrungen mit zeitgenössischem Tanz gemacht haben, steht je ein/e namhafte/r ChoreografIn beziehungsweise Musiker zur Seite. Für die künstlerische Leitung der Tanz-Communities konnten die ChoreografInnen Josette Baïz (F), Clint Lutes (USA/F), die ÖsterreicherInnen Simon Mayer, Milli Bitterli, Doris Uhlich und aus Großbritannien Jasmine Wilson für Wayne McGregor | Random  Dance gewonnen werden. Der Perkussionist Murat Coskun (D/TR) arbeitet mit der Musik-Community.

Ziel des Prozesses ist eine Bühnenproduktion, die im Mai 2013 auf der Großen Bühne des Festspielhaus St. Pölten zu sehen sein wird. Dann werden die Communities unter der künstlerischen Leitung von Jane Hackett (Sadler’s Wells) und Joachim Schloemer zu einem großen Ganzen zusammen gefügt. Murat Coskun und der Komponist und Gitarrist Maurizio Grandinetti (I) kreieren dafür die Musik.

Inspirierende Vorbilder

Im Rahmen der Kick-Off-Tage präsentierten sich mit der Groupe und Compagnie Grenade von Josette Baïz sowie mit der Sadler’s Wells Company of Elders zwei außergewöhnliche Beispiele von Community Dance.

Die Groupe Grenade ging aus einem Projekt in einem „Problemviertel“ an den Banlieus von Marseille und Aix-en-Provence hervor, in die die Tänzerin und Choreografin Josette Baïz vom französischen Kulturministerium jeweils für ein Jahr entsandt wurde, um an dortigen Schule, die SchülerInnen zum Tanzen, Singen und Theaterspielen zu animieren. Die als „schwierig“ geltenden Kids mit unterschiedlichen kulturellen Backgrounds zeigten sich bei diesen künstlerischen Tätigkeiten von einer ganz anderen Seite: sie arbeiteten diszipliniert und bewiesen unerwartetes Talent. Das motivierte Baïz dazu, das Projekt langfristig fortzusetzen und sie etablierte 1992 die Groupe Grenade mit jugendlichen TänzerInnen. Jene, die der Groupe Grenade entwachsen, aber dennoch weitertanzen wollen, finden in der 1998 gegründeten Compagnie Grenade eine Möglichkeit, ihrer Leidenschaft Tanz professionell nachzugehen. Ihren 20-jährigen Geburtstag – „Les 20 ans“ – feierten die Groupe und Compagnie Grenade zusammen und mit Arbeiten von Frankreichs Top-Choreografen Jérôme Bel, Philippe Découflé, Jean-Claude Gallotta, Michel Kélémenis, Angelin Preljocaj, dem Ballettchef von Monte-Carlo Jean-Christophe Maillot sowie von der Grenade-Leiterin selbst. Beachtlich das Können, die Disziplin und die Verschmelzung von jugendlichen Laien mit den Profi-TänzerInnen, zwischen denen oft kein Unterschied auszumachen war, außer vielleicht die Körpergröße. Besonders auffallend ist aber die Art, wie Baïz ihre Arbeit anlegt: Der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen erfolgt auf gleicher Augenhöhe. Sie sind hier alle TänzerInnen und als solche gefordert, die Choreografie zu vermitteln. Nie wird der Umstand, dass sie Kinder sind besonders hervorgehoben – auch wenn die Choreografien sorgfältig für die jeweiligen TänzerInnen ausgewählt wurden. Als die Vorstellung mit Auszügen aus Jérome Bels „The Show must go on“ und dem Police-Song „I’ll be watching you“ endet, kann das Publikum in St. Pölten nicht länger an sich halten und belohnt diese formidable Truppe mit standing ovations. (Ein interessanter Gegensatz zur Wiener Version, die einige Tage später im Tanzquartier zu sehen war.)

Ebenso gefeiert wurde die Company of Elders, die Rahmen von „Sadlers Well’s presents“ im Festspielhaus gastierte, zwei Workshops und zwei Performances anbot. Auch sie verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie Grenade, nämlich die Arbeit mit ausgezeichneten ChoreografInnen. Im St. Pöltner Programm stellten die TänzerInnen zwischen 65 und 90 Jahren für sie geschaffene Arbeiten der Hofesh Shechter Company, von Darren Ellis, Simona Scotto, Jasmin Wilson (von Wayne McGregor | Random  Dance) und von Steve Kirkham von New Adventures vor. Zwischen den einzelnen Stücken wurde ein Film über die TänzerInnen eingeblendet, der Einblick in das Leben und die Arbeit dieser außergewöhnlichen Compagnie bietet. Die Choreografien, die ganz auf das Bewegungsrepertoire der „Elders“ abgestimmt sind, spannten einen Bogen von tanztheatralen Episoden (etwa in Steve Kirkhams „A Night Up West“) bis zu beschwingten Tänzen (wie das Solo „Long Walk Home“ von Darren Ellis). Das Thema „Altern“ bleib dabei erfreulicherweise ausgespart. Auch bei dieser Compagnie schreiben die ChoreografInnen mit ihrer eigenen künstlerischen Handschrift und nicht für eine bestimmte Zielgruppe.

Sowohl Grenade als auch die Company of Elders gaben bei diesen Eröffnungstagen die besten Aussichten auf die Entwicklung von „alles bewegt“, vor allem weil mit Josette Baïz und Jane Hackett zwei erfahrene Spezialisten der Community Dance Bewegung mit im Boot sind.

http://www.festspielhaus.at/