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lasylphide_probeNur noch wenige Tage sind es bis zur Premiere des romantischen Balletts „La Sylphide“ mit dem Wiener Staatsballett. Schon wird nicht mehr im Ballettsaal probiert, sondern auf der großen Bühne. Auch wenn die Dekoration noch nicht ganz fertig, die Bühne noch hell erleuchtet ist und die Probenleiter an der Rampe aufgereiht sitzen und mit Argusaugen beobachten, was die SolistInnen und das Corps de Ballet in bestenfalls angedeuteten Kostümen zustande bringen.

Aus Paris angereist ist der Choreograf Pierre Lacotte, führende Autorität für die Wiederbelebung von Ballettklassikern, besonders von solchen aus der Ära des Romantischen Balletts. Auch für die Wiener Aufführung von „La Sylphide“ ist er als Berater und Kritiker eingeladen. Schließlich hat die Ballettwelt es ihm zu verdanken, dass Filippo Taglionis „La Sylphide“ nahezu 200 Jahre nach der Uraufführung immer noch auf der Bühne zu sehen ist. 1972 hat er Taglionis Choreografie, das Bühnenbild und die Kostüme nach mühsam ausgeforschten Aufzeichnungen rekonstruiert und an der Pariser Oper einstudiert. Jetzt sitzt er in der Mitte der Sesselreihe und nicht nur die Tänzerinnen und Tänzer hören auf das, was er zu sagen hat. Geleitet wird die Neueinstudierung von Ballettdirektor Manuel Legris und der französischen Tänzerin Élisabeth Platel, die ihre Abschiedsvorstellung an der Pariser Oper als „Sylphide“ gegeben hat und seit 2004 Direktorin der Ballettschule der Pariser Oper ist. Auch wenn die Tänzerinnen und Tänzer unter sechs Augen ihre Sprünge und Pirouetten ausführen müssen, sind sie mit Freude dabei. Nicht nur der freundlich kameradschaftliche Ton den Manuel Legris vorgibt, lässt den Tanzenden die Anstrengung ein wenig geringer erscheinen, auch die Musik von Jean-Madeleine Schneitzhoeffer, von Korrepetitor Igor Zapravdin mit Verve und Sentiment am Klavier gespielt, macht gute Laune. Schließlich wird eine schottische Hochzeit vorbereitet. Da geht es lustig zu im ersten Akt, der nun auf der Bühne probiert wird. Die Männer tanzen einen Schottischen, die Damen tänzeln artig einen zierlichen Reigen. Effi, die Braut (Nina Poláková), hat nur ein weißes Probentütü an, um ungefähr die Länge ihres Kostüms zu markieren; James, der Bräutigam (Masayu Kimoto) hat sich einen echten Schottenrock umgelegt, kniefrei und bei jedem Sprung aufregend flatternd. Nach anderthalb Stunden intensiver Arbeit, der auch der Dirigent der Premiere, Peter Ernst Lassen, und Produktionsleiter Lukas Gaudernack zusehen, muss eine Pause gemacht werden: „20 Minuten, Mesdames, Messieurs.“ Trippelnd verabschiedet sich das Corps de Ballet, die SolistInnen bleiben auf der Bühne.

Während das Bühnenbild adjustiert, Versatzstücke gerückt werden, will Manuel Legris das Solopaar des ersten Aktes (Maria Alati und Davide Dato) in Aktion sehen. Dato probiert im Hintergrund konzentriert und unermüdlich seine Developées. Legris möchte die Armbewegungen von Alati (2010 wurde die Italienerin zur Halbsolistin ernannt) noch verbessern. Stillsitzen und dozieren kann der Direktor nicht. Aufspringen und die Pirouette samt Port de bras vormachen ist Eins. Die Tänzerin nickt, probiert die Bewegung exakt zu kopieren. Legris demonstriert noch einmal und noch ein drittes Mal. Wenn der Direktor tanzt, will er gar nicht aufhören, tanzt mit solchem Einsatz, dass ihm ganz heiß wird. Der Pullover hat fürs Erste ausgedient. Schließlich muss er auch die Musik zu den Schritten selbst machen. Zapravdin genießt seine Pause. Dass der Tänzer Manuel Legris die ins Ohr gehenden Melodien des Komponisten Schneitzhoeffer (der sich der Verständlichkeit halber lieber Dupont nannte) auswendig kann, ist nicht verwunderlich, hat er doch in seiner aktiven Zeit als Danseur Étoile an der Pariser Oper sämtliche Hauptrollen der Romantischen und Klassischen Ballette getanzt. Dass er auch sicher, laut und richtig singt, überrascht. Der Ballettdirektor macht dem Opernhaus keine Schande und ist schließlich auch zufrieden, mit dem Pausenergebnis des Paares Maria Alati / Davide Dato.

Die Bühne bevölkert sich wieder. Es kann losgehen, wenn Monsieur Lacotte eintrifft. Pünktlich wie ein König sitzt er auf seinem Platz und wählt den Brautstrauß aus. Soll's ein roter oder ein weißer sein? Lacotte gustiert ein wenig und entscheidet sich.

Die Probe nähert sich dem Angelpunkt der Handlung und Höhepunkt des gesamten zweiaktigen Balletts: dem Pas de trois von James, Effi und der Sylphide. Das Pikante an der Situation à trois ist, dass nur James die Elfe sehen kann, Effi darf sich nur wundern, was James so knapp vor der Hochzeit aufführt und warum er mitunter plötzlich so kalt und abweisend ist. Noch sind die Markierungen auf dem Bühnenboden, damit Tänzerinnen und Tänzer wissen, wo sie ihre Füße hinzusetzen haben. Doch Kimotos Sprünge sind so hoch und weit, dass es im Zuschauerraum scheint, er würde gleich mit den Knien an die Treppe vor dem Kamin stoßen. Zuerst aber ein traulich getanztes Liebesduett. „Irina, bist du da?“ versichert sich Legris. Wie von Geisterhand hereingetragen, ohne dass jemand sie kommen gesehen hat, steht sie plötzlich zwischen Braut und Bräutigam, die Sylphide (Irina Tsymbal), das unfassbare Waldwesen. Noch ist auch ihr Kostüm nicht fertig, vor allem fehlen die kleinen Flügel, wie sie schon die erste Sylphide, Marie Taglioni, 1832 getragen hat. Doch Tsymbal lässt sich davon nicht irritieren, sie ist bei der Probe bereits dieses Wesen aus einer anderen Welt, dem die Liebe zu einem Sterblichen den Tod bringt. Fast kann man vergessen, dass einer ersten Bühnenprobe zugesehen wird, so makellos ist dieser Pas de trois samt den Variationen. „Ja, Ja, Ja,“ rufen Platel, Legris und Lacotte unisono. In den Applaus der Argusse an der Bühnenrampe stimmen die Mitglieder des im Hintergrund sitzenden Corps begeistert ein. In zwei Wochen wird auch das Publikum sein Entzücken lautstark zum Ausdruck bringen dürfen.

Ans Ausruhen auf den Lorbeeren ist nicht zu denken. Gleich nach der Premiere müssen einige die Koffer packen. „Marie Antoinette“ (im Repertoire des Staatsballetts in der Volksoper) besucht Versailles. Drei Abende lang wird im Château de Versailles (Spectacles), Opéra Royal, Patrick de Banas erfolgreiches Ballett am Ort des Geschehens das Pariser Publikum begeistern. Im Dezember ist der Jerome Robbins-Abend, „Hommage an Jerome Robbins“ in Monte Carlo zu Gast und im Frühjahr fliegt die „Fledermaus“ (Roland Petit) nach Japan. Was James und Effi und die verführerische Sylphide nicht hindert, sich ihrer Amour fou weiterhin in der Wiener Staatsoper hinzugeben.

„La Sylphide“, Bearbeitung und Choreografie, Bühne, Kostüme: Pierre Lacotte,  Musik: Jean-Madeleine Schneitzhoeffer, Dirigent Peter Ernst Lassen. Premiere: 26. Oktober 2011. Weiter Vorstellungen 29.10., 5., 7., 12.11. 2011 und vier  Termine im Jänner 2012.