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WhiteDarknessKIMOTO FOGOMit Werken zeitgenössischer Choreografen beendete Manuel Legris seinen Premierenreigen an der Wiener Staatsoper. Ganz so, als wolle der in seiner Repertoirepolitik bisher als eher konservativ geltende Ballettchef, ein anderes, moderneres Image hinterlassen. Die Uraufführung des Programms, Pontus Lidbergs „Between Dogs and Wolves“, orientierte sich allerdings wieder vorwiegend am akademisch-klassischen Bewegungsrepertoire.

„Movements to Stravinsky“MovementsSTEPHENS MAIR

Eröffnet wurde der Abend mit einer Choreografie eines Ensemble-Mitglieds. Bereits bei der Uraufführung an der Volksoper hat András Lukács „Movements to Stravinsky“ (tanz.at berichtete) überzeugt. Auch auf der weitaus größeren Bühne der Staatsoper hat dieses Ballett nichts von seiner Eleganz und musikalischen Stringenz eingebüßt. Vorlage für die mitreißende Choreografie ist eine geschickt ausgewählte musikalische Collage aus Ballett- und Orchesterstücken von Igor Strawinski, zu der Lukács mit dem Ballettidiom experimentiert: mit komplexen Pas de deux, die jedoch nie den Bewegungsfluss behindern, mit beinahe statisch wirkenden Szenen, in denen das Ensemble einfache Hand- und Armchoreografien ausführt.

MovementsSo wird die klassische Formensprache in eine neue Dynamik übersetzt, in der Tanz und Musik zur Projektionsfläche für die Interpretation des Betrachters werden. In den Tänzen von Natascha Mair und James Stephens, von Nikisha Fogo und Richard Szabo, von Alice Firenze und Masayu Kimoto entfaltet sich jedenfalls das gesamte Konflikt- und Harmoniepotenzial von Beziehungen, deren Zeitlosigkeit sich auch in den Kostümen spiegelt, die Lukács mit Versatzstücken aus unterschiedlichen Epochen kreiert hat. MovementsSIGNORELLI

Bestechend auch Gaetano Signorelli, der das Stück mit einem kurzen Solo eröffnet. Den Rücken zum Publikum, scheint er ganz von der Schwerkraft vereinnahmt zu werden um ihr kurz darauf ebenso seidenweich zu entschlüpfen. Eine weitere Entdeckung im talentreichen Ensemble des Wiener Staatsballetts!

DogsandWolves„Between Dogs and Wolves“

Auch Pontus Lidberg, künstlerischer Leiter des Danish Dance Theatre, will keine Geschichte erzählen. Doch sowohl der Titel „Between Dogs and Wolves“ wie auch die Gegenüberstellung von weißen Ballerinen, Männern in schwarzen Anzügen und Wölfen (dargestellt in den auf eine fahrbare Leinwand projizierten Visuals oder von als Wolf maskierten Tänzern) deuten Inhaltliches an. Auf der Suche nach etwaigen Zusammenhängen landet man allerdings in mehrere Sackgassen. Darum geht es jedenfalls nicht: Um Sylphiden oder Wilis, denen der Wolf im Wald begegnet, um das Tier im Manne oder um #metoo auch nicht – trotz einer kurzen wölfischen Massenkopulation. Außerdem ist das Haupttier eine Wölfin (sexy: Rebecca Horner). Es geht aber auch nicht um die Umsetzung des französischen Idioms für Dämmerung: „l’heure entre chien et loup“, die Stunde zwischen Hund und Wolf. DogsandWolves Horner

Irgendwann wird klar, dass die choreografische Motivation von Dmitri Schostakowitschs Kammersymphonie für Streicher ausgeht. Im Dialog mit dieser sind Lidberg auch spannende Szenen gelungen. Der Kontrast zwischen dem Frauenensemble mit den formalen Bewegungen der danse d’école und den rasanten, raumgreifende Moves der Männer führt zu bemerkenswerten Effekten, besonders wenn sie dem treibenden Rhythmus der Musik folgen. Das funkioniert aber nur, wenn es penibel exakt getanzt wird. Doch offensichtlich haben dafür, vielleicht ob des wölfischen Brimboriums, einige Proben gefehlt. Für die musikalische Präzision sorgte hingegen, wie schon zuvor bei Strawinski, das Orchester der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Fayçal Karoui.

WhiteDarknessFEYFERLIK YOUNG„White Darkness“

Der Höhepunkt kam am Schluss. „White Darkness“ ist eines der Signaturstücke von Nacho Duato, in dem sich in der ihm eigenen Tanzsprache emotionale Welten eröffnen. Die Uraufführung von „White Darkness“ fand 2001 mit der Compañía Nacional de Danza, die Nacho Duato damals leitete, statt. Es ist mittlerweile ein zeitloses Meisterwerk.

Zur Musik von Karl Jenkins (vom Band) kreierte der Choreograf ein Requiem für den Verlust seine Schwester aufgrund von Drogenkonsum: weißes Pulver rieselt mehrmals von der Decke, bis die Protagonistin schließlich im weißen Regen untergeht (Ausstattung: Jaffar Caboort). WhiteDarknessYOUNGDurch den Tanz wird die Bandbreite der Problematik und das Dilemma der handelnden Personen greifbar.

WhiteDarkness FOGO KIMOTONeben dem Hauptpaar agieren acht weitere TänzerInnen. Einmal evozieren sie wie in Rückblenden vergangene, unbeschwerte Zeiten der beiden, ein anderes Mal sind sie die Drogengesellschft, die nach dem weißen Stoff giert. All das erzählt Duato mit einem in die Tiefe gehenden Ästhetik ohne aufgesetzte Dramatik. Die aufwühlenden Bilder entstehen einfach im Einklang von Musik und Bewegung. Großartig und berührend verkörpert Madison Young die Hauptfigur mit all der Geschmeidigkeit von Duatos Tanzidiom. Für Jakob Feyferlik war diese Arbeit sicher eine Chance seine Ausdruckskraft in einer für ihn ungewohnten Körperführung zu beweisen. Noch ist die klassisch-akademische Haltung nicht überwunden, gelingt diese Verschmelzung mit seiner Partnerin (noch) nicht ganz. Doch das schmälerte keineswegs dem emotionalen Impakt dieser weißen Dunkelheit.

Wiener Staatsballett: „Lukács | Lidberg | Duato“, Premiere am 4. März 2020 an der Wiener Staatsoper. Weiter Vorstellungen am 6., 8., 10., 11. März.

Und dann noch …

… die Fotoausstellung "9 Selected Moments" von Gabriele Schacherl, die bis Mai im Balkonumgang der Wiener Staatsoope zu sehen ist. Diesmal ist die Fotografin ganz nah an den TänzerInnen dran, fängt Körperskulpturen und Stimmungen in den kurzen Momenten des Stillstands ein. Neun Großaufnahmen, die sowohl die Perfektion des klassischen Tanzes als auch die Ausdruckskraft der InterpretInnen beleuchten.