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Unkraut1Sechs junge Frauen trainieren seit mehreren Jahren mit Doris Uhlich in der Tanzwerkstatt Wien. Im Juni dieses Jahres sind sie aus dem Studio geschlüpft und beim Schäxpir-Festival in Linz erstmals ins Rampenlicht getreten. In „Unkraut“ liefern sie eine sehr erwachsene Performance ab, die unterschiedliche Lesarten des Begriffs erlaubt.

Die Unkräuter wiegen sich im Wind, werden ausgerissen, niedergespritzt, aber raffen sich wieder auf. Sie gehen aufeinander los, schlagen, treten, peitschen und schleifen einander an den Haaren ziehend über den Boden. Hier werden Macht und Dominanz ausagiert, bis es zum „Kollateralschaden“ kommt und ein Mädchen reglos am Boden liegen bleibt. Unkraut3

Dann setzten Rave-Rhythmen und Uhlichs choreografische Markenzeichen, etwa die besondere Art den Körper in Schwingungen zu versetzen, ein. Damit ändert sich die Stimmung: aus den unerwünschten Pflanzen werden selbstbestimmte, nicht-konforme Frauen, die ganz cool bei Spagat und Liegestützen miteinander konkurrieren, zu bedrohlichen Insekten mutieren, oder – in skurrilen Kostümierungen – zu einzigartigen Fantasiewesen werden. Aus dem Gegeneinander wird eine Art Miteinander.

Unkraut4Semantisch wird dem Unkraut im deutschen ja quasi seine Existenz abgesprochen. Und doch sind es gerade diese Kräuter, die besonders widerstandsfähig sind, und hartnäckige Überlebensstrategien entwickelt haben. Bekanntlich vergeht Unkraut nicht, trotz der unermüdlichen Bemühungen des Menschen es auszurotten. Nur zu oft werden aber auch heute noch Frauen als Unkraut angesehen, das man dementsprechend misshandeln und töten darf. Der "Internationale Tag zur zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen" am 25. November ist mahnendes Beispiel dafür. Soweit die Meta-Ebene, die die Performance bis dahin evoziert.Unkraut5

Wenn diese auf eine persönliche Ebene transferiert wird und die Tänzerinnen in einer Art Gruppentherapie über ihre privaten Erfahrungen erzählen, schwächt das allerdings das Stück kurzzeitig und ohne Grund. Denn Marie-Luise Bohrer, Annina Kriechbaum, Miriam Kutrowatz, Lena Obenaus, Anna Steiner und Luna Weis liefern mit ihrer Unkraut-Verkörperung eine professionelle Leistung ab und beweisen dass sie über ihre eigene Geschichte hinauswachsen können. Und die Choreografin Doris Uhlich macht ihnen gegenüber auch künstlerisch keine Abstriche. Ob alte oder junge DarstellerInnen, Laien oder Profis, Uhlichs fordert ihre TänzerInnen immer bis an ihre Grenzen.

Unkraut2Am Ende setzt sich das Unkraut naturgemäß durch und wird großzügig gegossen. Unkraut gedeihe!

Doris Uhlich „Unkraut“ am 29. November im MUMOK, eine Veranstaltung von Impulstanz.