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Crowd EstelleHananiaAuf bewegtes Polit-Film-Theater, „The Walking Forest“ von Christiane Jatahy, trifft Gisele Vienne`s nur an der Oberfläche spiegelnde Jugendkulturstudie „Crowd“. Weitgehend unpolitisch verharrt diese bei tanzenden, entrückten Körpern, deren Aggression schon in zerplatzenden Chips-Päckchen verpufft. Soghaft meditativ hingegen steuert Susanne Kennedy ihre Reise durch eine – etwa mit Episoden aus dem Tibetanischen Totenbuch bestückte – Bühnenfassung von Jeffrey Eugenides „The Virgin Suicides/Die Selbstmord-Schwestern“. Dieses Kontrastprogramm war am vergangenen Wochenende im Rahmen der Wiener Festwochen zu bestaunen.

"The Walking Forest"

Vier Leinwände hängen in einer der Gösserhallen unweit des Hauptbahnhofs, auf denen von Machtmissbrauch und politischer VerfolgWalkingForest AlineMacedoung in Syrien, im Kongo und in Brasilien erzählt wird. Diese persönlichen Gewalt-Erfahrungen inmitten von korrupten Systemen unserer Zeit verknüpft die 1968 in Rio de Janeiro geborene Theater- und Filmemacherin mit einem Klassiker: Der Geschichte des nach Macht dürstenden „Macbeth“, der vor Bluttaten nicht zurückschreckt und dessen Bühnen-Wiedergänger plötzlich - inmitten des Publikums – sein blutbesudeltes Geld an Mann und Frau bringen möchte. Christiane Jatahy lässt die Fiktion von Shakespeares Erzählung  über die dokumentarischen Videos „hereinbrechen“ und treibt das Publikum vor den sich nun in Bewegung setzenden Leinwänden durch den Raum. Am Ende wirft Jatahy den Ball zu jedem Einzelnen im Raum – jene, die sich bloß noch in Bewegung setzen müssen, wie der Wald in Shakespeares „Macbeth“, um das Unrecht zu stoppen. 

Tanz die geistlose Ekstase

Gisele Vienne setzt „Crowd“ ganz an der Oberfläche an, sie arbeitet dabei mit Lichteffekten, Rauch, Stop-Motion-Ästhetik und Freezes. Junge Menschen strömen in Zeitlupe über erdigen Untergrund, sie tanzen und wälzen sich im Dreck. Sie lassen Chips-Säckchen zerplatzen und in den heißesten Momenten stoßen sie die Brustkörper aneinander. Kaum wirken sie bedrohlich, kaum nimmt man Anteil an ihrem flachen Eskapismus, dessen Sein ohne Ziel scheint, deren Fallhöhe nur die Erschöpfung des Rausches ausmacht. Echte Begegnungen scheinen die österreichisch-französische Choreografin dabei nicht zu tangieren, im Fokus stehen hübsche, skulpturale Teenie-Körper, die sich in geistlose Ekstase tanzen. Eine Stunde und vierzig Minuten ohne essentielle Botschaft können dabei verdammt lang werden.

Tod und jugendliche Blüte

Ein HighligSelbstmordSchwestern Judith Bussht der Wiener Festwochen dagegen ist Susanne Kennedys hoch suggestive Arbeit der Münchner Kammerspiele über Themen, die Autor Jeffrey Eugenides in „The Virgin Suicides“ angelegt hat. Auf der Bühne erzählen vier halbwüchsige Knaben in Manga-Kostümen von ihren Phantasien um die heftig knospenden Nachbars-Mädchen, die sich mit ihrem Freitod allen Besitzansprüchen an sie entziehen. Die ganze Bühne ist ein blinkender Altar, auf dem eines der Mädchen aufgebahrt liegt. Eine androgyne Computeranimation führt mit Texten von Timothy Leary in einen Bewusstseinszustand, der jenseits von Ego existieren soll. Sound und Inszenierung packen das Hirn in einen hypnotischen Krallengriff, der einen unbändigen Sog entwickelt. Passagen aus dem Tibetanischen Totenbuch führen in eine rätselhafte Welt zwischen Leben und Tod, in der auf Bildschirmen Botschaften aus virtuellen Parallelwelten gesendet werden.

Spannende neue Formate wie „The Walking Forest“ und „The Virgin Suicides“ zeigen die Wiener Festwochen heuer neben Altbekanntem wie „Crowd“, und was hochpolitisch angekündigt wird, ist zuweilen dann doch eher ein sanftes Lüfterl, das verpufft.

Wiener Festwochen: Christine Jatahy, „The Walking Forest“ und Gisele Vienne, „Crowd“, jeweils Gösserhallen am 2. Juni 2018, Susanne Kennedy, „Die Selbstmord-Schwestern/The Virgin Suicides“, Theater Akzent, 3. Juni 2018, Weiteres Programm: www.festwochen.at