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Zauberfloete iconDas Theater an der Wien begann die Spielzeit mit einer Neuproduktion der „Zauberflöte“ in der Regie von Torsten Fischer, das Festspielhaus St. Pölten eröffnete sein 20. Jubiläum mit „Die schöne Helene“, einem Gastspiel der Komischen Oper Berlin in der Inszenierung ihres Direktors Barrie Kosky. Beide Regisseure verstehen ihre Neudeutung als Tribut an starke Frauen, den sie auf ganz unterschiedliche Art und Weise einzulösen versuchten.

koenigin sarastroDie Königin der Nacht rehabilitiert

Für Torsten Fischer ist die Königin der Nacht keinesfalls eine böse, rachsüchtige Furie. Vielmehr ist sie eine verletzte, gedemütigte Frau, der man ihr Kind weggenommen hat. Sarastro wurde dazu von ihrem verstorbenen Mann beauftragt, der ihm die Macht über sie und ihre Tochter übertrug. Also lebt die Königin und die sie umgebenden Frauen als Gefangene der Männergesellschaft. Wenn diese Tamino als Retter der Tochter Pamina ausmachen, verfolgen sie ihn (statt der originalen Schlange) alsbald mit erotischer Gier. Die drei Damen können erst gar nicht vom „holden Jüngling“ ablassen, grapschen an ihm herum und buhlen zänkisch darum, wer den ohnmächtig Daliegenden bewachen darf. Als sich ihm die Königin der Nacht nähert und ihre erste Arie singt, wird es sexuell prickelnd. Die Körperwindungen unter seinen Liebkosungen passen herrlich zu ihren Koloraturen. Bereits hier stellt sich die armenische Sopranistin Mina Minasyan als großartige Interpretin dieser Paraderolle vor, die ihre berühmte Arie im zweiten Akt mit akzentuierter Kälte und voll verhaltener Wut glasklar in den Raum schleudern wird. Tamino ist mit dem sympathischen Sebastian Kohlhepp und seiner leichten, natürlich klingenden Tenorstimme sehr gut besetzt.tamino bildnis

Das Antlitz der Geliebten ist auf dem Spiegelbild sichtbar, nachdem die Frauen mit ihren Röcken das Bildnis am Boden vom Staub freifegen – eine von vielen eindrucksvollen Szenen, die die Ausstattung von Herbert Schäfer & Vasilis Triantafillopoulos hervorbringt. Mit einem beweglichen Bühnenbild, Spiegeln und Begrenzungen schaffen sie fantasievolle Räume für den jeweils gegebenen Anlass. Denn trotz des realistischen und emanzipatorischen Ansatzes, den Fischer im Team mit dem Choreografen Karl Alfred Schreiner verfolgt, bleibt „Die Zauberflöte“ (zeitloses) Märchen.

pamina koeniginSo kommt die irdische Fleischeslust bei der "wahren" Liebe Taminos zu Pamina nicht zum Einsatz – die Umarmung, in die die beiden zueinander finden, ist durchaus keusch-verhalten. Dabei ist wohl nicht beabsichtigt, dass Sophie Karthäuser in ihrer schwarzen Latzhose über weißer Bluse wie eine Steiner-Schülerin des Goetheanum daherkommt. In jedem Fall bleibt sie in ihrer Rolle blass und zugeknöpft. Sie fürchtet ihre Mutter, die sie zur Erfüllungsgehilfin ihrer Rache machen will, und ist Sarastro (mit Ehrfurcht gebietendem Bass: Dimitry Ivashchenko), dessen Handibussis seine keineswegs nur väterliche Zuneigung verraten, respektvoll ergeben – obwohl ja er eigentlich der Entführer ist. Sie ekelt sich von Monostatos (Michael Smallwood), dessen Neudeutung bei allem Bemühen nicht überzeugend gelingt. Als Opfer, als das ihn Fischer sehen will, agiert er durchwegs zu aggressiv.papageno a

Wird bei Taminos Ankunft der Tempel Sarastros noch als Areal mit hohem Zaun gezeichnet, an den sich die Menschen verzweifelt klammern (die Szene evoziert Bilder der Flüchtlingswelle 2015), so wandelt sich der Macho recht abrupt zum Verteidiger von Freiheit, Vernunft und Frieden. Eine Klagemauer verkündet mittels eines Luigi Nono-Gedichtes eine Gesellschaft der Toleranz, in der sich die Würdenträger der großen Weltreligionen friedlich und respektvoll begegnen. Nachdem Pamina und Tamino die Prüfungen bestanden haben, und auch Papageno (darstellerisch köstlich und gesanglich solide: Daniel Schmutzhard) mit Papagena (charmant: Katharina Ruckgaber) seine irdische Belohnung erhalten hat, wird die Königin der Nacht, die in sich in einer Art Niqab Zutritt zu Sarastros Palast erschlichen hatte, schließlich rehabilitiert. Hand in Hand mit Sarastro schreitet sie bei Sonnenaufgang einer hellen Zukunft entgegen.

Zauberfloete endeInsgesamt ist Fischer und seinem Team mit dieser Inszenierung eine interessante und gültige Interpretationsvariante der unsterblichen Oper gelungen. Daran haben die Akademie für alte Musik Berlin und ihr künstlerischer Leiter René Jacobs ebenso kreativ mitgearbeitet, indem sie neue Musikstücke (eine Freimaurer-Kantate) von Mozart einbauten, anderes wegließen, Instrumentierungen änderten oder das unheilvolle Donnergrollen mit Blech und Posaunen verstärken. Wohlklingend, beweglich und spielfreudig wie immer agiert der Arnold Schönberg Chor.

Helena 1Offenbach mit Brachialkomik

Als "Mozart der Champs-Élysées" bezeichnete Rossini seinen Kollegen Jacques Offenbach. Dessen Antiken-Operette "Die schöne Helena" hat nun Barrie Kosky wieder ausgegraben und konzentrierte sich in seiner Inszenierung an der Komischen Oper Berlin ganz auf den Nonsens-Aspekt, bei dem er „die Monty-Python-Haftigkeit“ herausarbeiten wollte. Doch wo Monty Python mit scharfem Witz sticht, sandelt Kosky in den Klamauk ab, aus dem er nicht mehr herausfindet. Da ist einfach jede Sekunde gewollt lustig. Tragendes Element sind sechs kesse Jungs, die ihre knackigen Hintern drei Stunden lang schwingend zum Einsatz bringen - sehr viele Variationen sind dem Choreografen Otto Pichler dazu allerdings nicht eingefallen, dafür sorgte Buki Schiff bei den Kostümen für Vielfalt. In der Travestie-Show ist Nicole Chevalier als Helena eine exaltierte Tussy, die mit rollenden Augen, schlängernder Zunge und ausladenden Gesten ständig und gehörig outriert.

Vom Text ist nichts zu verstehend, ob er nun gesprochen oder gesungen wird (Mikrofone wären hier hilfreich gewesen).  Selbst das Orchester (wacker: das Tonkünstlerorchester Niederösterreich unter der Leitung von Stefan Soltesz) wird im allgemeinen Hysterielevel wiederholt niedergeschrien.Helena 2

Freilich hat sich Kosky für seine Inszenierung viel überlegt, hat musikalische Zitate von Wagner, Beethoven bis Edith Piaf eingebaut, lässt das kunterbunt gewandete Chor-Ensemble mehrmals fröhlich zu „Hava Nagila“ in Referenz zum jüdischen Offenbach shaken. Allein, der Humor bleibt plump und schwerfällig. Doch ja, bei vielen kommt diese Brachialkomik an. Nicht nur in Berlin, wo die Vorstellungen stets vor ausverkauftem Haus gespielt werden, auch in St. Pölten wurde das Machwerk vom Publikum heftig bejubelt.  

„Die Zauberflöte“ am 21. September (Premiere am 17. September) im Theater an der Wien; weitere Vorstellungen am 26. und 28. September.

„Die schöne Helena“, Gastspiel der Komischen Oper am 23. September im Festspielhaus St. Pölten