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ThossIn der gerade laufenden Serie des dreiteiligen Abends „Thoss | Wheeldon | Robbins“ gab es mit dem Rollendebut von Mihail Sosnovshi eine neue Auslegung der Choreografie "Blaubarts Geheimnis" von Stephan Thoss. Christopher Wheeldons geheimnisvolles neoklassisches Ballett „Fool’s Paradise“ hatte es nach der dramatischen Präsentation des Frauenmörders schwer sich zu behaupten, bevor „The Four Seasons“ von Jerome Robbins Kurzweil und Unterhaltung verbreiteten.

Blaubart, das ist bei Thoss nicht unbedingt ein Frauen mordender Brutalo. Vielmehr geht es dem Choreografen um das Psychogramm eines Mannes, der durch verschiedene Beziehungen gezeichnet ist, und dessen letztes Geheimnis in der Verbindung zu seiner Mutter liegt. Bei Eno Peci (21. November) bestimmt die Psychologie die Rollengestaltung. Sein Blaubart ist ein gebrochener Mann, mit fortschreitender Handlung wird sein Habitus immer krampfhafter, obsessiver. Möglich dass mit dem Alter Ego (Andrey Kaydanovskiy) ein schizophrener Zustand verkörpert wird. In jedem Fall wird dieser Mann in allen seinen Aktionen von seiner Mutter (Rebecca Horner) dominiert, selbst wenn sie nicht anwesend ist, scheint sie als Geisterschatten omnipräsent zu sein. Seine junge Frau Judith  (Alice Firenze) wird von einer mitleidigen Liebe getrieben, will als eine Art Florence Nightingale Blaubart von seinen Leiden befreien. Doch irgendwie ist er ihr unheimlich. In dieser Interpretation ist die Mutter übermächtig, wird ihre Vervielfachung zu einer überwältigenden Bedrohung. Auch wenn Judith ihren Mann aus ihren Klauen befreien kann, so scheint das nur ein kurzfristiger Sieg zu sein.Thoss1

Ganz anders die Interpretation am 28. November. Bereits in der ersten Szene steckt der Blickkontakt zwischen der Mutter (Gala Jovanovic) und Judith (Eszter Ledán) die Rivalität der beiden Frauen ab. Die Gestalt des Blaubart ist bei Mihail Sosnovshi weniger psychologisch angelegt. Sollte es stimmen, dass er seine Frauen ermordet hat, dann ist er ein Täter, der von seinen Instinkten getrieben wird. Das Begehren von Judith ist offensichtlich, er öffnet die Türen für sie, weil sie darauf drängt, nicht weil es ihm ein Bedürfnis ist, sie in seine Vergangenheit einzuweihen. Gleichzeitig signalisiert seine fürsorgliche Zuwendung auch, dass er sie schützen will. Judith schaudert zwar angesichts der Frauen, die hinter jeder der Türen stecken, die Blaubart für sie öffnet, doch ihn selbst scheint sie nicht zu fürchten. Das Alter Ego ist bei Francesco Costa weniger dramatisch, ja leichtfertiger als bei der Originalbesetzung, und unterstützt damit Blaubarts Profil à la Sosnovshi. Die Mutter? Ja, sie quält ihn, doch er kann sie abschütteln. Dieser Blaubart leidet weniger, agiert aggressiver und durchtriebener. Wenn er sich von seiner Mutter ab- und Judith zuwendet geschieht das ohne Nachhall an die vorangegangene Begegnung. Er scheint ihr gar nicht so ausgeliefert zu sein, wie wir bisher dachten. Doch was ist denn nun wirklich „Blaubarts Geheimnis“? Sosnovshi lässt das Rätsel offen, während es seine Vorgänger einer Lösung zuführten.

WheeldonMit Sosnovshi und Ledán bekommt aber auch Thoss’ Bewegungssprache eine andere Note. Diese, vom Ausdruckstanz geprägt, ist das Gegenteil von der ästhetisch glatten Neoklassik, wie sie etwa in Christopher Wheeldons Stück zum Einsatz kommt. Wenn nicht immer alle Beine und Arme bis zum Extrem gestreckt werden, wenn einmal eine Hand und ein Fuß nicht an der Ganzkörperbewegung partizipiert, dann entsteht eine gewisse „Schmutzigkeit“, und sie macht diese Interpretation so besonders glaubhaft.Robbins1

In beiden Vorstellungen tanzte das Wiener Staatsballett elegant und ätherisch im Nebel von „Fool’s Paradise“, mit Rollendebuts von Nina Tonoli, Ketevan Papava und Robert Gabdullin. Mit jeder Aufführung gewinnen „The Four Seasons“ von Jerome Robbins beim Wiener Staatsballett an humorvoller Leichtigkeit. Mit ihrem Charme bringt Nina Tonoli das Wintereis zum Schmelzen, gefolgt von den Frühlingsgefühlen, die das in perfekter Harmonie tanzende Paar Natascha Mair und Jakob Feyferlik großzügig verteilen. In schwüle Sommernächte mit einem Hauch Exotik fühlt man sich durch Ketevan Papava und Robert Gabdullin (21. November) oder Alice Firenze und Roman Lazik (28. November) versetzt. Im Herbst treibt der Faun seinen Schabernack, eine Paraderolle für Davide Dato, die am 28. November von Richard Szabo eine Spur zu clownesk interpretiert wurde.

RobbinsAn beiden Abenden in Hochform: das Wiener Staatsopernorchester unter der Leitung von Alexander Ingram sowie die Pianistinnen Laurene Lisovich und Shino Takizawa.

Wiener Staatsballett: „Thoss | Wheeldon | Robbins“ am 21. und 28. November in der Wiener Staatsoper. Letzte Vorstellung dieser Serie am 2. Dezember