Hauptkategorie: Kritiken

Schlehwein1Mit der Uraufführung von „things we lost in fire“ eröffnete Andrea K. Schlehwein/Netzwerk AKS ein breit gefächertes Angebot an Veranstaltungen in Klagenfurt und Millstatt: Gemeinsam mit Interessierten und für solche will sie „… neue Denk- und Wahrnehmungs-Räume ausloten..sie benennen..besetzen..darin leben“, um eigene Positionen zu finden und derart innere und äußere Barrieren abzubauen.

Mobilität und Veränderung seien ein Gebot der Stunde, das Hinterfragen von Gegebenheiten schon immer Sache der Kunst und damit des zeitgenössischen Tanzes. Daher bietet „TANZ im November“ unterschiedliche Dialog-Formate zusätzlich zu Arbeitstreffen, Workshops, offenem Training und offenen Tanz- und Technikproben – sowie selbstverständlich auch Performances.

Die erste Premiere erweist sich als (wahrscheinlich) symptomatisch für das mutige Gesamtprojekt: Es ist nicht einfach in den Griff zu bekommen, es fordert heraus, es überfordert unter Umständen, es verunsichert während es den Blick öffnet. Eine nahezu ungezügelte Bilderflut ergießt sich in den anfangs leeren, schwarzen Bühnenraum. Es ist ein zügelloses Wogen, in dessen Gemeinsamkeit das Einzelne weitgehend isoliert bleibt. Damit ist eine sich durchziehende, eher abstrakte Ebene der Rezeptionsmöglichkeit angesprochen; eine, die aber gleichzeitig auch Konkret-Assoziatives als Haltegriff bietet – einen eher filigranen freilich und in vielerlei Weise benutzbar.

So werden zwischen den und von den ziellos über die Bühnen Laufenden in der Anfangsszene gleichzeitig Auf-dem-Boden-Liegende über die Bühne gezogen: dramatisches Agieren einerseits, chaotische Teilnahmslosigkeit andererseits – eine Art Resümee, Endzeitstimmung. Und/ oder ist es „atemloses Sich-in-Szene-Setzen“, hilfloses Reagieren auf Zeitgeschehen, ignoranter heutiger Umgang mit dem Sterben? Da wie im Folgenden bleibt die Interpretation völlig offen, versetzt damit aber auch in exakt den Zustand, der das Heute, die Heutigen kennzeichnet: Haltlosigkeit wäre einer der Überbegriffe dafür.Schlehwein2

Ein anderer von zahlreichen weiteren Ansätzen: Der Mensch als unbeschriebenes Blatt: Kurz flackert Individualität auf, wenn sich jede(r) der fünf Einzeltänzer(innen) mit einem leeren Blatt Papier vorstellt, indem vor allem die (internationale) Herkunft genannt wird. Migrationsthematik wird insbesondere durch kleine Zusatzbemerkungen auf den Tisch gelegt, wenn etwa Zweisprachigkeit kurz angesprochen wird. Allein, diese Thematik ist auch hier nur eine von sehr vielen. Die Individualitätsfindung scheint für jeden und überall ein großes Problem. Ein weiteres: das Finden eines Du. Die choreografische Umsetzung derartiger Versuche zählt neben solchen einer Sinnsuche ganz allgemein (etwa, wenn Bewegungen ins Leere gehen), zu den besonders geglückten Tanzszenen. Wobei aber auch insgesamt gilt, dass der Fluss des Tanzes tragend durch das thematische Mosaik führt. Gleichermaßen in seinen unterschiedlichen persönlichen Ausdrucksformen und Stärken wie auch in den großen Bögen dynamischer Gegensätze. Zwar wäre ein Mehr an Bewegungsvariation das eine und andere Mal schön gewesen, allein als Abbild unseres Zeitgeschehens, unseres Chaos, unseres Menschseins, unserer Stereotype mag es genau so als bezeichnend intendiert sein.

Wenn zur emotional sehr dichten Musik (Edgar Varése, Jan Dismas Zelenka, Leos Janácek u.a.) ein blätterloser Baum und schließlich müllsäckeweise weiße Papierblätter als Requisiten eingesetzt werden, vervielfacht sich die assoziative Kraft noch um ein Weiteres: Die Entscheidung, ob man sich in der Offenheit verliert oder sich lustvoll von all dem tragen lässt, bleibt jedem einzelnen Zuschauer überlassen – das künstlerische Angebot gilt jedenfalls.

Andrea K. Schlehwein: „things we lost in fire“, Premiere am 6.November 2015, Klagenfurt, theater Halle 11
TANZ im November - Klagenfurt I Stift Millstatt – 3. bis 23. November 2015
www.andreakschlehwein.com