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KaashMut hat den Veranstaltern des Osterfestival Tirol noch nie gefehlt. Dass das kleine Wort mit der großen Bedeutung zum Motto der 27. Ausgabe geworden ist, bestätigt nur den ungebrochenen Geist, mit der die künstlerische Leiterin Hannah Crepaz auch heuer das Besondere abseits des Mainstreams suchte. Der Abschluss sorgte mit zwei außergewöhnlichen Konzerten und einer hinreißenden Tanzaufführung für besinnliche und aufwühlende künstlerische Highlights in Hall und Innsbruck.

Berührend gestaltete Jordi Savall, ein Künstler, der seit Beginn mit dem Osterfestival verbunden ist, seine Hommage an den „Geist Armeniens“ mit vier armenischen und drei Musikern seines Ensembles Hesperion XXI. Im Gedenken an seine vor zwei Jahren verstorbene Frau Montserrat Figueras, die über 40 Jahre lang auch seine künstlerische Wegbegleiterin war, sowie an das Land mit seiner leidvollen Geschichte, entstand dieser Abend, der das musikalische Erbe einer der ältesten christlichen Zivilisationen im Orient aufleben lässt. Zwei spezielle Instrumente prägen die Musik der heutigen Kaukasusrepublik: der Duduk, eine Rohrblattflöte, meist im Duo gespielt und das Streichinstrument Kamancheh. Die Lieder besingen die Liebe, die Landschaft Armeniens, beklagen die Zerstörung der Stadt Ani oder befeuern den Mut der Armenier für den Kampf. Jordi Savall lässt an diesem Abend den Vortritt seinen armenischen Kollegen, begleitet deren Musik einfühlsam auf Fidel oder Gambe. Doch auch an diesem Abend öffnet sich unter der behutsamen Leitung des Meisters das Fenster in eine vergessene Zeit und einen unbekannten Raum – und die weitläufige Halle im ehemaligen Salzlager Hall wurde für etwa 90 Minuten vom Geist und von der Seele Armeniens erfüllt.
savall

Bewegend im wahren Wortsinn war am darauf folgenden Abend die Umsetzung des mittelalterlichen Buches „Llibre Vermell de Montserrat“ (entstanden 1399 im Kloster Montserrat bei Barcelona) durch das Ensemble La Camera delle Lacrime. Die französische Gruppe um die Gründer und Leiter Bruno Bonhoure und Kai-dong Luong hat sich auf eine unkonventionelle Aufführungpraxis historischer Werke vom Mittelalter bis ins Barock spezialisiert. Für die Aufführung der Rekonstruktion der zehn erhaltenen Lieder des „Llibre Vermell“ (die nach der Zerstörung des Klosters durch napoleonische Truppen im 19. Jahrhundert übrig geblieben waren) hat der wunderbare Klangkörper, bei dem alle MusikerInnen auch sehr gute SängerInnen sind (vor allem die Flötistin und Sopranistin Sarah Lefeuvre), mit den Chor Stimmsalz Hall und dem Kinderchor des Gesangsstudios Do-Re-Mi Telfs zusammengearbeitet. Die Gesänge in katalanisch, okzitan und latein wurden von den großen und kleinen Tiroler SängerInnen ausdrucksstark interpretiert. Durch die Einbindung in kleinen, einfachen Choreografien und Lieder-Refrains wurde auch das Publikum Teil der eingeschworenen Gemeinschaft, wie es seinerzeit wohl die Pilger im Kloster Montserrat waren, wenn sie in der Kirche, beteten, schliefen und tanzten. Dem charismatischen Leiter und Tenor Bruno Bonhoure gelang es mit spielerischer Leichtigkeit, den Geist mittelalterlicher Frömmigkeit, die so eng mit dem täglichen Leben verbunden war, auferstehen zu lassen und als humorvoll-eleganter Zeremonienmeister mit allen eine beschwingt-fröhliche Andacht zu feiern. 

Kaash1Mitreißend endete das heurige Osterfestival Tirol mit der Akram Khan Company und „Kaash“. Zum christlichen Fest am Ostersonntag wurden die komplexen hinduistischen Gottheiten tänzerisch erforscht. Der Zusammenarbeit drei der bedeutendsten Vertreter der zeitgenössischen Kunstszene für „Kaash“ (der Hindi-Begriff bedeutet „was, wenn“, ist aber auch der Titel eines berühmten Bollywood Films) ging eine individuelle Auseinandersetzung mit Shiva voran: Der Komponist Nitin Sawhney übersetzte seine Recherchen in rhythmische Pattern unter Verwendung von tablas, wie sie im Kathak zur Gliederung rhythmischer Strukturen verwendet werden. Der Bildhauer Anish Kapoor kreierte eine Bühneninstallation, bestehend aus einem mächtigen, schwarzen Viereck vor einem farbig ausgeleuchteten Hintergrund (Licht: Aldeen Malone). Akram Khan spürte den kreativen und zerstörerischen Einflüssen der hinduistischen Gottheit nach und kreierte daraus einen Tanz von beeindruckender Rhythmik und überwältigender Rasanz. Die organische Verbindung des zeitgenössischen Tanzidioms mit dem Kathak, in dem Akram Khan ursprünglich ausgebildet wurde, findet aber nicht nur im Rhythmus ihre Resonanz. Auch die Arm- und Handbewegungen evozieren den nordindischen Tanz, während der übergangslose Wechsel der TänzerInnen von der Vertikalen in horizontale Bewegungen am Boden wiederum die Verbindung zwischen Himmel und Erde zu verstärken scheint. Dann verdichten sich in einer dramatischen Steigerung die Elemente. Während die TänzerInnen die Bühne fluchtartig verlassen, verfinstert sich zu einem ohren-betäubenden Sound die Bühne, vibriert das schwarze Viereck vor einem schreienden Pink – bis plötzlich Ruhe einkehrt. Ein eindringlicher Pas de deux wird zu einem Machtkampf zwischen Yin und Yang, Soli erforschen die unendlich vielfältigen rhythmischen Spielarten, die sich schließlich wieder in Ensembleszenen fortsetzen, um noch einmal die volle epische Wucht der Choreografie zum Einsatz zu bringen. Und es endet – dem zyklischen Zeitbegriff verpflichtet –, wie es begonnen hat: ein Tänzer bleibt mit dem Rücken zum Publikum allein auf der Bühne zurück.

Im letzten Jahr hat der britische Choreograf mit bangladeschischen Wurzeln dieses, sein erstes abendfüllendes Stück aus dem Jahre 2002 mit fünf jungen TänzerInnen wieder ins Repertoire aufgenommen. Auch ohne die physische Präsenz des Ausnahmetänzers Akram Khan, der sich bei dieser Wiederaufnahme aus dem Spiel genommen und die Bühne ganz seinen großartigen TänzerInnen Kristina Alleyne, Sadé Alleyne, Sung Hoon Kim, Nicola Monaco und Sarah Cerneaux überlassen hat, ist „Kaash“ heute noch ein überragendes Beispiel für den west-östlichen Gegenwartstanz, der Akram Khan zu einem der spannendsten Choreografen gemacht hat.

27. Osterfestival Tirol: „Der Geist Armeniens“ am 4. April, „Llibre Vermell de Montserrat“ am 5. April, beide im Salzlager Hall. „Kaash“ mit der Akram Khan Company am 6. April im Congress Innsbruck