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auraelkeMit ihrer Performance Galerie auf Grundlage einer Open-Source-Choreografie eröffnet die Cie. Feinsinn ein neues Kapitel der medienbezogenen Performancepraxis. Elke Pichler und Alexander Nantschev untersuchen den magischen Aspekt der neuen Technologien und setzen ihn in Verbindung mit den Theorien Walter Benjamins und den Aura-Forschungen lang vergangener Zeiten – ohne dabei die heutige gesellschaftspolitische Dimension zu negieren.

[A]ura. WYSIWIG – What you see is what you get“ ist sicher eine der interessantesten und komplexesten Multimedia-Performances, die ich in letzter Zeit gesehen habe. In diesem spannenden Experiment beherrschen Elke Pichler und Alexander Nantschev, alias Feinsinn, nicht nur die eingesetzten technischen Mittel souverän, sondern gehen sehr überlegt mit den Elementen der Live-Performance um.

Erstens, der Raum. Die Stuhlreihen im Kosmos Theater sind ausgeräumt, der gesamte Raum wird zur Bühne, auf der sich auch die Zuschauer bewegen. Sanft geleitet durch Aufsichtspersonen, die sich unauffällig ins Publikum mischen oder durch computergenerierte Stimmen, die freundlich und mit besten Manieren Anweisungen geben, wird man in dieser Performance-Galerie von einer Station zur nächsten geführt.
An den Wänden sind unterschiedlich geschnittene Leinwände für multiple Videoprojektionen aufgebaut, auf der Texte sowie vorbereitete oder in Echtzeit entstehende Videos und computergenerierte Animationen erscheinen. Die Videowalls sind einmal Hauptdarsteller, dann wieder verstärken sie das Bühnengeschehen oder geben Hintergrundinformationen zu den angesprochenen Themen.

Zweitens, die Choreografie. Am Anfang stand der Choreomixer, eine Software, mit der User online aus den vorgegebenen Bewegungssequenzen eine Choreografie gestalten konnten. Die besten dieser Choreografie-Remixes wurden dann gewählt und werden von Elke Pichler mit akribischer Präzision getanzt. Am Ende der Performance darf das Publikum noch einmal mitspielen. In einem Voting-Verfahren stimmt es für die Schlusschoreografie.

Drittens, die Musik. Alexander Nantschev hat natürlich auch diesmal für das vielschichtige Soundsystem und vielfältige Klangambiente der Performance gesorgt. Das geht vom Geigenspiel (etwa Camille Saint-Saens’ „Der Schwan“ - what else?) über jede Menge elektronischer Musik bis hin zum Theremin, eines der ersten elektronischen Musikinstrumente (erfunden 1919), das berührungslos gespielt wird.  

Viertens, die Themen. Mit Walter Benjamins Aura-Begriff in der Kunst begann die Cie. Feinsinn ihre Überlegungen. Der Übergang zur Aura-Forschung und Fotografie liegt auf der Hand. Die Möglichkeiten, die die heutige Technologie für die auratische Darstellung bietet, sind demgegenüber freilich unerschöpflich. Die Gruppe Feinsinn nützt sie in vielfältiger Weise. So erscheint die Aura der Tänzerin als ihr Schatten oder aber auch als grafische Linien, als amorphe Geisterwesen oder konkrete Abbildung der Person.auraduo

Und wenn man sich schon mit unserer Technologie-bestimmten Welt auseinandersetzt, dann ist es nur ein kleiner Schritt zur Raumfahrt. Dazu gibt es ein Video über die Raumsonde Voyager 1, die seit 1977 unterwegs ist und irdische (musikalische) Botschaften für außerirdische Wesen an Bord hat. Dazu singen Pichler und Nantschev ihren „Voyager Song“, während sie auf den Videowalls in unterschiedlichen Outfits multipliziert werden.

Aber auch ganz banale gesellschaftliche Funktionen, die der Computer mittlerweile erfüllt, werden angesprochen – zum Beispiel ein Chat für ein lonely heart mit einer virtuellen Partnerin.

In dieser Fülle an Ideen, Bildern und Szenen sind Technik und Live-Performance fein aufeinander abgestimmt. Die Kostüme von Monika Biegler und das Lichtdesign von Georg Stadlmann sind dabei ebenso wichtig wie die Programmierung von Stefan Lechner.

Indem sie die Technologie selbst zum Thema machen und in einen historischen Zusammenhang stellen, werfen Pichler und Nantschev mit ihrer klugen Performance-Galerie eine Reihe von existenziellen Fragen auf.

Die Magie, die man mit Video-, Computer- und Sound-Technologie erzeugen kann, ist durchaus mit dem einstigen Zauber der frühen Fotografie vergleichbar. Gleichzeitig entlarvt die Cie. Feinsinn den heutigen Techno-Boom als Hype – als einen freilich, der durchaus das Potenzial hat, dem Menschen seine Vorrangstellung abzuerkennen. Denn schon hat die Künstlichen Intelligenz die Posthumanistische Ära einzuläuten begonnen.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses gelungene und vielschichtige Experiment der jungen Compagnie nicht eine Randbemerkung der Wiener Performance-Szene bleibt! Bei der Premiere war vom Wiener "Tanz-Establishment" jedenfalls niemand zugegen. Doch diese Gruppe verdient eindeutig (mehr) Beachtung.

Cie. Feinsinn: „[A]ura. WYSIWIG – What you see is what you get“, Uraufführung am 13. Februar 2014 im Kosmos Theater Wien. Weitere Vorstellung am 15. Februar

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