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stavangerAllerhand Absurditäten im Menschen-Aquarium. Der Moskauer Starregisseur  Konstantin Bogomolov erzählt in „Stavanger (Pulp People)“ im Museumsquartier  von weit ins Internet geöffneten Wohn-Schlaf-Küchen mit WC. Hinter schwarzem Humor lauert ein tiefer Abgrund trister Lebensrealitäten im globalisierten Einheitsbrei unserer Zeit.

Mehrgenerationen-Wohnen auf engstem Raum: In einer einzigen Plexiglasbox vereint leben  - es wird simultan erzählt - drei Familien. Von kuscheliger Nähe jedoch kann keine Rede sein. Zwischen den Menschen ist Eiszeit angesagt, nur im Chat geht es heiß her. Ob „herüben oder drüben“ die sozialen Realitäten in der norwegischen Stadt Stavanger und in Lettland unterscheiden sich kaum, man sitzt ja auch im gleichen transparenten Käfig ausgestellt und sieht die selben Filme und das verbindet, nämlich: Ice Age.

Die Lettin Kristine chattet mit Norweger Odd, man kommt schnell zur Sache - Cyber-Sex - , bei dem, so weit so gut, auch noch alles nach Wunsch verläuft. Kristine beschließt, Nägel mit Köpfen zu machen und das junge Cyber-Glück auch in der Realität zu testen. In ihrer Beziehung zu Nikolai ist der Ofen aus, das Sexualorgan ist zu einem Holzbrett mutiert und erst nach langem Suchen hinterm Wohn/Schlafsofa wieder aufzufinden. Auch die Pflegesituation mit dem Großvater scheint alles andere als leicht, was ein wunderbarer Monolog des alten Herrn und ein Tanz mit seinem Nachttopf eindrücklich vor Augen führt. Mittels einer grünen und roten Signallampe, die seine Nahrungsaufnahme und seine Ausscheidungen - beziehungsweise seine "Untergebenen" - steuert, übt er ein göttergleiches Regime über seine Familie aus. Das, und die trieste Arbeitslosigkeit, lassen sie den Aufbruch in ein neues Leben, eine neue Liebe, wagen.

Leichen im Keller. Die Ernüchterung lässt nicht auf sich warten, denn auch wenn im Chat alles ganz rosig aussieht, die Realität entpuppt sich anders. Auch Odd hat eine Vorgeschichte: Er hat ein Kind mit Down-Syndrom, das von der Junkie-Ex-Frau mit Heroin-Brei stimuliert wird, während sie - versehentlich - mit Gries-Brei fixt. Er pflegt noch gelegentlich sexuelle Ex-Beziehungen mit ihr und hing bis vor kurzem selbst an der Nadel. Auch die Liebe ist alles andere als erfüllend, mit einem Akku-Bohrer werden lieblos Löcher ins Liebes-Holzbrett gebohrt.

Kristine kehrt zurück in ihr altes Leben, in dem Großpapa inzwischen den Familienvorsitz abgegeben hat und  im Kühlschrank der Verwesung trotzt. Auch der Akku-Bohrer ihres Mannes wurde inzwischen (an einer Stewardess mit schwarzem Händchen, aber das ist eine der vielen anderen Geschichte….) reaktiviert und steht fürs gemeinsame Wohn-Schlaf-Sofa bereit. Der Schlusssatz, per Laufschrift über der Bühne erläutert launig „Diese Geschichte könnte noch ewig weitergehen, aber es hat überhaupt keinen Sinn sie weiterzuerzählen.“

Vergnügen bereitet hat es allemal. Die kongeniale Verknüpfung von absurden Geschichten mit grotesken Wendungen in nüchternster Erzählweise und aberwitzigem Setting, erlaubt die Tragik moderner Realitäten mit Humor zu erzählen. Die von Konstantin Bogomolov verwendeten "Verfremdungseffekte", wie Bohrmaschinen und Holzbretter als Synonyme für Sexualorgane, resultieren aus einer immer repressiveren Zensur-Politik in seinem Heimatland.

Beim Publikum ist Multitasking gefragt, denn Bühnengeschehen, Simultan-Übersetzung per Headset, Laufschrift mit Gedanken und Hintergrundinfos können gleichzeitig verfolgt werden. Großer Applaus.

Konstantin Bogomolov, „Stavanger (Pulp People)“, Premiere im deutschsprachigen Raum vom 23.5.2014 in der Halle G im Museumsquartier. Weitere Vorstellungen 24. und 25.5.2014. www.festwochen.at