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blaubartpeciAls Premiere sollte auch die dritte Vorstellung des Balletts „Blaubarts Geheimnis“ von Stephan Thoss in der Volksoper gefeiert werden. Waren doch nahezu alle Hauptrollen neu besetzt. Eno Peci rührt als einsamer, verschlossener Blaubart, Davide Dato tanzt als dessen „Alter Ego“ einen kräftigen Kontrast. Raffaela Sant’Anna gestaltet Blaubarts Mutter, eine Frau, die ihren Sohn keiner anderen gönnt. Alice Firenze hat zwar schon die Premiere mit Kirill Kourlaev als Blaubart getanzt, doch wird sie mit Peci als Partner zu einer ganz anderen Judith: schmiegsamer, naiver, liebevoller. Eine schön anzusehende Entwicklung.

Eno Peci ist ein einfühlsamer Tänzer, ein Künstler, der auch mit dem Rücken sprechen kann, mit jeder Neigung seines Kopfes, jeder Biegung des Körpers. Sein Blaubart leidet unter der wüsten Vergangenheit, ein Gequälter, der sich mit jeder Faser seines Leibes nach Liebe und Vertrauen sehnt. Dieser Blaubart fordert nichts von Judith, er bittet und zeigt, dass auch er bereit ist, zu geben, doch die latente Gewaltbereitschaft lauert spürbar auf ihren Ausbruch. Die zeigt dann deutlich Davide Dato als „Blaubarts alter Ego“. Der junge Tänzer, Halbsolist im Staatsballett, hat sich als fröhliches Springinkerl (zuletzt als Bettlerkönig in „Manon“) in die Herzen des Publikums getanzt, als „Schatten“ zeigt er sich als ernsthafter Rollengestalter ohne an Kraft zu verlieren. Ein heftig beklatschtes Debüt. Alice Firenzes Judith ist in dieser dritten Vorstellung intensiver, ausdrucksvoller geworden. Eine junge Frau, die zwischen inniger Zuneigung und (berechtigten) Zweifeln schwankt, von der zukünftigen Schwiegermutter (Sant’Anna ist mehr neidische, ihren Sohn begluckende Schwiegermutter als possessive, nahezu inzestuöse Mutter) abgelehnt, dennoch zu ihrer Liebe steht. Dieser Blaubart und diese (neu gestaltete) Judith sind ein einander ergänzendes Paar, das hart um die Beziehung kämpft und gemeinsam den Sieg erringt.

Die eigentliche Geschichte von Blaubart zwischen seiner Mutter und der jungen Liebe spielt sich bei Thoss im zweiten Teil des Balletts ab. Der erste, den der Choreograf „Präludien“ nennt, ist eine Art Einführung ins Thema, eine vielfältige Antwort auf die Frage „Wie funktioniert Liebe?“. Im Ballsall, auf einer Party, in der Disco begegnen einander Männer und Frauen, daraus wird zärtliche Hingabe oder recht heftige Ablehnung. Manche rennen durchs Leben, ohne einander anzusehen, andere verführen mit laszivem Hüftschwung. Drei Paare demonstrieren Formen der Zuneigung in schwierigen Pas de deux. Die zarte Kiyoka Hashimoto entpuppt sich im Tanz mit András Lukács als starke, aggressive Frau, die genau weiß, was sie will. Da hat der Partner keine Chance. Verhalten werbend tanzt Mihail Sosnovschi seinen Part mit Maria Alati. Eno Peci ist im Pas de deux mit Erika Kovácová noch nicht Blaubart, einfach ein Mann.

Auf den Leib geschrieben ist der köstlichen Liudmila Trayan die fröhliche Rolle des letzten „Präludiums“. Sie hat zu Henryk Góreckis Komposition „Kleines Requiem für eine Polka für Klavier und 13 Instrumente“ sieben Kandidaten zur Auswahl, entscheidet sich letztlich doch für nur einen. Der gesamte erste Teil, bei der Premiere noch etwas wirr und unstrukturiert, hat an Stringenz und Aussagekraft gewonnen. Was Thoss aussagen will, wird vom Ensemble auch in den schwierigen Passagen deutlich gemacht.

Der Saal leert sich und plötzlich knistert es, Blaubart und Judith stehen einander gegenüber, sehen sich an. Ein intensiver spanender Moment. Magisch voneinander angezogen, wie auf Schienen, als würde eine unsichtbare Hand sie einander entgegen schieben, gehen sie aufeinander zu. Judith leistet keinen Widerstand. Blaubart legt ihr den Arm um die Schulter, führt sie ins Unbekannte.

Was bei aller Schwärmerei über die Tänzer und Tänzerinnen des Staatsballetts nicht vergessen werden darf: Sie brauchen die Musik (Górecki im ersten Teil, Philip Glass im zweiten) und die wird vom Volksopernorchester perfekt intoniert, obwohl Wolfgang Ott, Dirigent auch der Uraufführung, im  Schneechaos am Münchener Flughafen festgehalten worden ist. Unter dem dankbaren Jubel des Publikums (und wohl auch der Direktion) sprang Ballettkorrepetitor Jiri Novak ein. Die Tempi hat er durch die Probenbegleitung im Kopf, ein großes Ensemble zu leiten, hat er als langjähriger Chorleiter gelernt. Novak hat nicht nur den Abend gerettet, sondern sein Debüt als Orchesterdirigent meisterhaft bestanden.

"Blaubarts Geheimnis" von Stephan Thoss, 3. Vorstellung am 17. Jänner 2012, Volksoper