Hauptkategorie: Kritiken

12_gradinger_schubotEin Tier mit vier Beinen, aber nur einem Rücken. Zwei Menschen halten einander die Augen zu und versuchen blind den Weg vom eigenen zu einem gemeinsamen Ich zu finden. Unter Auflösung des „Wir“, das zwei Personen implizieren würde, wachsen die beiden zusammen. Ein Prozess, der sich zuweilen hart jenseits harmonischer Zweisamkeit abspielt.

Wenn sich die Körpergrenzen auflösen, treten interessante Zustände zutage: Plötzlich werden aus Menschen bloße Körper, die nicht mehr über Augen herausblicken, sondern der ganze Körper wird zu einem fühlenden Apparat, dessen Wahrnehmung über die Haut erfolgt. Ohne Augen lässt es sich aber schwer überleben, also wird die Körperoberfläche erweitert um eine zweite Person, die gleichsam als „Krücke“ zur Fortbewegung fungiert.

Zwischen Streicheln und Schlagen spielt sich die symbiotische Beziehung zwischen den „Siamesischen Zwillingen“ Angela Schubot und Jared Gradinger ab. Sie sind so fest miteinander verwachsen, dass sich Geschlechterunterschiede auflösen. Ineinander verkeilt schnappen sie nach Luft. Sexualität gibt es nur mehr in abstrahierter Form, wenn ein "Zwilling" den anderen bei den Schultern packt und am Boden „auswalkt“. Manchmal muss einer den anderen weitertragen. Manchmal verzehrt sich einer am anderen, der wie abgestorben am Boden liegt und erst wieder lebendig wird, als der sich auf ihm Verausgabende endlich erschlafft. Manchmal rauben sie einander den Atem. Manchmal verbrennt einer am Schweigen des mit ihm Verwachsenen.

Irgendwann versuchen Sie einander die Hände vom Gesicht zu reißen. Wenn diese Symbiotischen einander umarmen, geraten die Umarmungen leicht in die Nähe von Schlägen. Die Hand im Mund des Anderen wird zu einem erschreckenden Bild von Hörigkeit, der eine wird zum verlängerten Arm des anderen. Irgendwann löst sich die sehr dominante, sphärische und bedrückende Klangwolke auf (Sound Design Johannes Malfatti). Die einzige „Musik“ bleibt das - ebenfalls an alle Grenzen getriebene - Atmen der Performenden, das nun den Rhythmus bestimmt. Doch auch das bietet nicht lange Erleichterung, konsequent bis zur Schmerzgrenze probieren sie sich in den verschiedenen Stadien der Ich-Auflösung durch gleichzeitige oder streng abwechselnde Atmung oder gemeinsames Luftanhalten. Einsamkeit wird aufgelöst durch Gemeinsamkeit, deren Ausschließlichkeit jedoch schnell zum Gefängnis werden kann.

 „Is maybe“ ist eine Fortsetzung der gemeinsamen Arbeit von Angela Schubot mit Jared Gradinger „What they are instead of”, in der es um eine rückhaltlose Auseinandersetzung mit Identitäten und Ich-Grenzen geht und die auch bei ImPuls Tanz gezeigt wurde. Der Street Artist Mark Jenkins hat zu der im WUK gezeigten Produktion kopflose, ineinander verwachsene, durchscheinende Figuren geschaffen, denen auch im Zuschauerraum Plätze zugewiesen wurden und die sich inmitten des Publikums befinden.

Neben einer beachtenswerten Bewegungsstudie - die alle noch so radikalen Bewegungs-Möglichkeiten auslotet, ohne die intensiven Verschränkungen zweier Menschen auch nur kurze Zeit aufzulösen - entstanden dabei zuweilen beklemmend realistische Bilder von menschlichen Beziehungen zwischen Harmonie, Verschmelzung und krankhafter Verstrickung. Das Publikum applaudiert beeindruckt.

 „Is maybe“, Österreichische Erstaufführung, 11. August 2012, ImPuls Tanz FestivalWUK

www.jaredgradinger.com