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Dramaturgie des Zusammenfügens. Eigentlich wollte John Neumeier die japanische Gedichtform der „verketteten Verse“, Renku genannt, gemeinsam mit Maurice Bejart auf die Ballettbühne übertragen. Da das geplante Projekt jedoch nie realisiert wurde, hat Neumeier seine Idee nun an zwei Ensemblemitglieder weitergegeben. Yuka Oishi und Orkan Dann eröffneten mit ihrem „Renku“ die Hamburger Ballett-Tage.

Herausgekommen aus der dialektischen Annäherung der beiden Nachwuchs-Choreographen ist ein überzeugender, vielschichtiger und spannender Tanzabend. Wie bei einem Renku, einem Gedicht, das die Verse mehrerer Autoren miteinander verknüpft, geht es auch bei der japanischen Solistin Yuka Oishi und dem deutschen Gruppentänzer Orkan Dann um einen spielerischen Wechsel von Perspektiven und Impulsen, um Anknüpfung und Weiterführung, um die Vielfalt des Blicks. Unabhängig voneinander haben die beiden je zehn Teile choreographiert. Erst zwei Wochen vor der Aufführung wurden diese zusammengesetzt. Beeindruckend dabei ist nicht allein, wie harmonisch sich ihre Arbeiten ergänzen, sondern auch und vor allem, mit welchem Können und welcher Präzision Oishi und Dann, die bislang lediglich kleinere choreographische Arbeiten gezeigt haben, mit den musikalischen Grundlagen umzugehen verstehen. Im ersten Teil kombinieren sie Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ in Gustav Mahlers Fassung für Streichorchester mit Passagen aus Alfred Schnittkes Klavierquintett. Im zweiten Teil dominiert dann Philip Glass` Violinkonzert Nr. 2. Der Geiger Robert McDuffie, der für die Premiere als Gast nach Hamburg gekommen war, brillierte in dem für ihn 2009 komponierten Stück.

Bedingt zum einen durch die Vielfalt der musikalischen Auswahl, zum anderen jedoch durch die verschiedenen Handschriften der beiden Choreographen ist das Bewegungsvokabular kontrastreich, aber nicht beliebig. An manchen Stellen ist der Gestus von Zitaten geprägt und deutlich an Neumeiers Stil angelehnt. Doch letztlich dürfen die künstlerischen Wurzeln ja, zumal in einem Debüt, durchaus sichtbar bleiben. In den auf die Farben rot, weiß und schwarz begrenzten Kostümen des Modedesigners Michael Court sowie in dem schlichten, von Oishi und Dann entworfenen Bühnenbild können sich die Tänzer voll entfalten. Immer wieder formieren sie sich auf der ausgeleuchteten Bühne, so dass eindrucksvolle lebende Bilder und Scherenschnitte entstehen.

Ohne eine klar umrissene Handlung, doch auch nicht rein abstrakt, wird ein komplexes Geflecht von Stimmungen, Emotionen und Begegnungen aufgezeigt. Es gibt keine festen Rollen oder Partner. Es wird auf Spitze und barfuß getanzt. Aus einem Solo entwickelt sich ein Pas de deux, aus dem Pas de deux formiert sich eine Ensembleszene. In ihrer Ästhetik kühle Entwürfe werden von erzählerischen Momenten und Alltagsbewegungen abgelöst. So zieht sich Silvia Azzoni leuchtend rote Ballettschuhe an, die sie umhertanzen lassen wie eine Marionette. Aus einer Gruppe von Tänzern, die in ihren schwarzen, zerfransten Tutus zu Kranichen werden, stechen als rotes Vogelpaar Patricia Tichy und Edvin Revazov hervor. Und auch Helene Bouchet und Carsten Jung beteiligen sich an dem virtuosen Reigen. Lloyd Riggins begeistert mit einem rasant schnellen Solo voller Drehungen und Sprünge. Letztlich ist Oishis und Danns „Renku“ ein Abend für die Tänzer geworden. Eine Choreographie voller spannender und komplizierter Abfolgen, eine wunderbare Herausforderung. Und das Hamburg Ballett hat sein ganzes Können gezeigt.

Hamburg Ballett: Renku, Premiere am 17. Juni 2012 an der Hamburgischen Staatsoper. Weitere Vorstellungen: 19. und 29. Juni 2012