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Wenn Erinnern weh tut. Das Living Dance Studio, das an den Schnittstellen von Kunst, Theater, Film und Tanz arbeitet, widmete sich nach der Produktion "Memory", in der es um die Kulturrevolution ging, mit  „Memory 2: Hunger“ einem speziellen Kapitel dieser Geschichte: der Hungersnot von 1959 bis 1961. Im Sommer 2009 starteten die Tänzerin und Choreografin Wen Hui und der Dokumentarfilmer Wu Wenguang ein Dokumentarfilm-Projekt.

„Heute bin ich nicht gestorben, das ist gut,“ sagte eine Überlebende der Hungersnot während der Kulturrevolution Mao Zedongs - einer Katastrophe die durch staatliche Fehlplanung verursacht worden war. Junge chinesische StudentInnen und  DokumentarfilmerInnen sind ein halbes Jahrhundert danach in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt, um mit Zeitzeugen von damals zu sprechen. Sie sind in ihre Dörfer zurückgekehrt um mehr als 600 Bewohner aus 18 Provinzen und 190 Dörfern zu befragen.Von ihren Familien haben sie dabei erstmals Dinge erfahren, die in ihrem Geschichtsunterricht kaum behandelt wurden - obwohl geschätzte 15 bis 45 Millionen Menschen starben.

„Memory 2: Hunger“ zieht das Publikum bei seiner vierstündige Europa-Premiere im Rahmen der Wiener Festwochen in den Bann. Die Aufführung erweitert die Dokumentarfilme um eine Live-Ebene: Acht junge Menschen stehlen sich in den dunklen Bühnenraum mit Hand-Scheinwerfern, die sie im Verlauf der Performance auf sich selbst oder auf die anderen richten. Sie stellen sich als StudentInnen der Kunst oder anderer Studienrichtungen vor, auch eine Tänzerin und eine junge Frau sind darunter, die mit sechzehn Jahren zum Arbeiten in die Stadt ging. Sie sind in den 1980er Jahren geboren und wollten etwas über die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern erfahren. Während bei der Aufführung die von ihnen gedrehten Dokumentarfilmen eingespielt werden, bringen sie selbst auch noch ihre eigene Geschichte ein und erzählen, was ihnen während der Dreharbeiten in ihren Heimatdörfern, mit Verwandten und Dorfbewohnern widerfahren ist.

Schenkt man der offiziellen chinesischen Geschichtsschreibung Glauben, wurde die Hungersnot in erster Linie durch Naturkatastrophen ausgelöst. Überlebende berichten: Ein am Rücken der Landbevölkerung durchgeführtes Industrialisierungsprogramm sollte „um jeden Preis“ den „Großen Sprung nach vorne“ bewirken, wie das die kommunistische Propaganda nannte. Die westlichen Industriemächte wie England und Amerika sollten wirtschaftlich überholt werden. Wahnwitzige Produktionsziele wurden gesetzt, die Landbevölkerung für den Betrieb von Stahlöfen abgezogen und die Landwirtschaft vernachlässigt. Getreide wurde ins Ausland exportiert, während die Landbevölkerung Hunger litt und ums nackte Überleben kämpfte. Augenzeugen berichten von unter Verschluss gehaltenen Getreidespeichern während Menschen verhungert sind.

Nicht jeder Überlebenden wollte sich einem Interview stellen. Manchmal war es auch die jüngere Generation, die Kinder der Befragten, die aus Angst Probleme zu bekommen Interviews verhinderten. Manche hatten auch Angst, die Interviews könnten ein schlechtes Licht auf China werfen. Als eine der Filmerinnen ihren Film vor Kindern zeigte und sie fragte, wie Menschen im Ausland wohl reagieren würden, meinten diese, vielleicht gäbe es auch in anderen Ländern schwierige Zeiten in der Geschichte und deshalb würden die Menschen Verständnis haben. Und damit haben sie Recht,  Aufarbeitungspotential gibt es nicht nur in China.

Living Dance Studio „Memory 2:Hunger“, Europa-Premiere im Rahmen der Wiener Festwochen, Schauspielhaus, 18. Mai 2012

 

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