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Mit ihrer Inszenierung des Textes von Xaver Bayer „Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen“ hat die Choreografin Christine Gaigg eine anspruchsvolle und schwierige Vorlage gewählt. Da Bayer in seiner Erzählung die Körperlichkeit weitgehend ausspart, hat Gaigg die Tänzer in eine Parallelwelt gesetzt.

Der Raum ist durch transparente Plexiglaswände getrennt, sie sind nicht mehr ganz neu, Kratz- und Schmutzspuren sind sichtbar, das Licht ist hell und unpersönlich (Bühnenbild und Licht: Philipp Harnoncourt). Wie eben im Transferbereich eines Flughafens, in dem Xaver Bayers Essay spielt. Die Langeweile beim Warten zwischen zwei Flügen überbrückt der Ich-Erzähler mit Besuchen im Duty Free Shop und im Café, vor allem aber mit einer Assoziationskette von Gedanken. Die Eindrücke aus seiner Umgebung veranlassen ihn zu Spekulationen über die Mitreisenden, lösen philosophische Aphorismen oder persönliche Erinnerungen in ihm aus. Ganz so, als beobachte er sich selbst beim Denken. Fetzenweise bekommt der Zuhörer einen Eindruck aus seinem Leben, etwa, dass es eine Beziehung zu einer Theresa gab, dass die Trennung noch schmerzhaft nachwirkt, aber konkreter wird Bayer nicht. Was sich aber zunehmend herauskristallisiert ist ein obsessiver Charakter, der seine Gedanken der Flüchtigkeit zu entreißen sucht und in wohlformulierte Prosa fassen muss. Diesen Schilderungen der kleinsten Gegebenheiten, sei es des Geschehens am Flughafen oder der Erinnerungen, haftet etwas Zwanghaftes an. Der Erzähler ist ein von seinem Gedankenstrom Getriebener. Bayers Text ist dabei durchaus ironisch. Wenn der Held beispielsweise die Andachts- und Gebetsräume der verschiedenen Konfessionen besucht, entsprechen deren Beschreibungen der Wertigkeit der Religion in der Gesellschaft – etwas schmuddelig die katholischen und protestantisch-lutheranischen Räume, leer die Synagoge. Am besten gefällt ihm die Moschee. Dort öffnet er die Whiskyflasche, die er zuvor im Duty Free Shop gekauft hat. Bilder von Kindern, die Steine ins Wasser werfen, tauchen vor ihm auf, und es kommt zu einem Sinneswandel: Er wird seinen Flug nicht weiter fortzusetzen, sondern strebt Richtung Flughafenausgang zu.

Nicola Kirsch und Thiemo Strutzenberger tragen den Text mit sparsamer Mimik und Gestik vor und unterstreichen damit die melodische Schönheit von Bayers Sprache.

Dazwischen sitzen die TänzerInnen (Petr Ochvat, Anna Prokopová, Eva-Maria Schaller und Veronika Zott) auf dem Boden. Sie wetzen, mit ihren übergestülpten Kapuzen sehen sie aus wie rammelnde Hasen, zuerst allein, dann in einem Knäuel. Diese Verkörperung des Animalischen steht im krassen Gegensatz zu einem Text, in dem keine sexuelle Konnotationen zu finden sind. Interaktionen mit den SchauspielerInnen sind selten, diese schauen eher befremdet, wenn die TänzerInnen über die Bühne rennen und sie dabei zufällig  berühren. Erst gegen Ende mischt sich Nicola Kirsch unter die TänzerInnen, doch da spricht sie nicht mehr und löst sich quasi auf, indem sie die Bühne verlässt.

Die Hermetik des inneren Monologs verlangt vom Zuseher die volle Konzentration, will er den Faden nicht verlieren. Ich finde mich daher hin- und hergerissen zwischen den beiden Parallelwelten, und entscheide mich schließlich für den Text, den Gaigg durch die Bewegungsimprovisationen nicht stört. Doch auch wenn sie nicht in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken, spielen die TänzerInnen eine entscheidende Rolle, da sie die Körperlosigkeit der Assoziationsketten verdeutlichen und sich Bayers mentaler Sicht der Welt entgegensetzen.

„Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen“ von Xaver Bayer (Text) und Christine Gaigg (Regie / Choreografie). Eine Koproduktion des Schauspielhaus Wien mit dem Tanzquartier Wien und 2nd Nature. Uraufführung am 15. März 2012 im Schauspielhaus Wien. Weitere Vorstellungen: 30., 31. März, 3., 4. Und 26., 27. April 2012

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