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galastuttgartMit einer Gala der Superlative feierte das Stuttgarter Ballett seine 50jährige Existenz: Als Ballettintendant Reid Anderson in seiner kurzen Ansprache der Hoffnung Ausdruck verlieh, man sei hoffentlich mit genügend Verpflegung versorgt, um die fünf Stunden Gala durchzuhalten, wusste der gelernte Stuttgarter Ballettbesucher, dass diese Ankündigung ernst zu nehmen ist.

Schließlich dauerte die Gala aber fünfeinhalb Stunden (!) … So wunderbar und trefflich die meisten  Darbietungen waren, so lässt doch im Lauf des Abends die Konzentrationsfähigkeit ein wenig nach und so hätte auch hier gegolten, dass weniger mehr ist. Manches, das an den nächsten Abenden in anderer Konstellation angesetzt war, wäre hier zur Straffung verzichtbar gewesen. Von der ansprechenden Qualität einmal abgesehen hätte man den Pas de deux aus „Kazimir´s Colours“, den Pas de trois aus „Rückkehr ins fremde Land“ oder „Urlicht“ getrost weglassen können, da diese Stücke ohnedies im Ballettabend Schmuck//Stücke angesetzt waren.

Erfreulicherweise wurde aber statt der üblichen circensischen Gustostückerln eine große Bandbreite an Choreografien und Stilen geboten, sodass dieser Abend durch diese ausgefallene Zusammenstellung an Variabilität punkten konnte. Getanzt hat zu knapp zwei Drittel die Garde der hervorragenden gastgebenden Solisten, zu etwas mehr als einem Drittel präsentierten sich interessante Gäste. Das Staatsorchester begleitete mit Verve die Tänzer; es dirigierten sowohl James Tuggle als auch Wolfgang Heinz. Einiges sei hier nun herausgegriffen.

Interessante Gäste

In klarer Ästhetik tanzten Blythe Newmann und Admill Kuyler (beide vom Badisches Staatstheater Karlsruhe) den Pas de deux aus „Jeunehomme“, Mozarts Konzert für Klavier und Orchester Nr.9 Es-Dur, KV 271 – damit war eine Kreation des viel zu früh verstorbenen und ebenfalls aus der Stuttgarter Compagnie stammenden Uwe Scholz vertreten. Als Gäste vom Australian Ballet tanzten Amber Scott und Adam Bull mit viel Hingabe den Pas de deux aus „Molto Vivace“ von Stephen Baynes zu Händels Largo aus der Oper Xerxes.

Einen Ausflug in den Zauber fernöstliche Exotik vollführten die fragile Wang Qimin (sie tanzt am 25.4. und 1.5. Kitri in Wien) und der virile Li Jun vom Chinesischen Staatsballett. Mit „Awaking from the dream“, aus Peony Pavillion (Choreografie: Fei Bo) bezauberten die beiden in einem Liebes-Pas de deux zu abstrakten Klängen asiatischer Prägung. Das National Ballet of Canada steuerte eine Uraufführung bei: „In Peril“ in der Choreografie von Sabrina Matthews war eine Beziehungsstudie zum Thema Trennung und (nicht) Loslassen können, sehr überzeugend getanzt von Heather Ogden und Guillaume Côté.

Robert Tewsley als ehemaliger Startänzer in Stuttgart kehrte ebenfalls als Gast zurück. Es gelang ihm gemeinsam mit Irina Tsymbal (Solistin im Wiener Staatsballett) überzeugend, die heftige Leidenschaft im Pas de deux aus „Mayerling“ glaubhaft darzustellen.  Mit Sir Frederic Ashton war ein weiterer wichtiger Choreograf des vorigen Jahrhunderts an diesem Abend vertreten: Sarah Lamb und Federico Bonelli tanzten in feiner Stimmigkeit den Pas de deux aus „Meditation aus Thaïs“. Ganz anders die Gefühlsebene im Pas de deux aus „Carmen“ von Marcia Haydée, als Natalia Berrios und Luis Ortigoza vom Ballet de Santiago de Chile flammendes Temperament und knisternde Erotik zeigten.

„Der sterbende Schwan“ ist zwar bestens bekannt, diesmal wurde er als Männersolo interpretiert: der ehemalige Stuttgarter (und Wiener) Startänzer und nunmehrige Intendant des Berliner Staatsballett Vladimir Malakhov war als elegisches Vogelwesen in der Kreation von Mauro de Candia zu sehen.

Edle Kostbarkeiten als Kostproben aus dem Repertoire

Besonders edel und in ausgewogener Harmonie der Pas de trois aus Kyliáns „Rückkehr ins fremde Land“ mit Alicia Amatriain, Nikolay Godunov und Evan McKie. Der Stuttgarter Tänzer Douglas Lee steuerte mit „Fanfare LX“ eine spannende Choreografie bei, die sehr plastisch und energievoll von den beiden Compagnie-Kollegen Anna Osadcenko und Evan McKie umgesetzt wurde: ein dynamisches Zeichen, dass auch im Hier und Jetzt die nächste Generation an kreativen Tanzschaffenden ein kräftiges Lebenszeichen gibt.

Dass er ein phänomenaler Tänzer ist, stellte Friedemann Vogel erneut unter Beweis – er kann derzeit alles tanzen und ist immer souverän, so auch in „Fancy Goods“ von Marco Goecke, dessen spröde Bewegungssprache diesmal sogar einen Anflug von Humor enthielt – Friedemann Vogel leistete Unglaubliches mit seinem wunderbar modellierten Körper, spielte damit wie mit einem Instrument, in einer Weichheit und Strenge zugleich, die faszinierte.

Der Pas de deux aus „Othello“ von John Neumeier wurde mit sanfter Zärtlichkeit von der bezaubernden Elisabeth Mason und dem vielseitigen Jason Reilly getanzt.

Eine Verbeugung an John Cranko in einer beeindruckenden Begegnung der Tänzergenerationen eröffnete den dritten Teil: „Dear John“ von Eric Gauthier stellte in einer liebevollen Szene die Erarbeitung einer Sequenz mit dem Gründer des Stuttgarter Balletts nach: Egon Madsen und Eric Gauthier als kongeniales Paar auf der Bühne rissen die Zuschauer zu Begeisterungsstürmen hin. Choreograf Eric Gauthier erhält demnächst den Deutschen Tanzpreis.

Als Stuttgarter Erstaufführung gab es mit „Two Pieces for Het“ eine Choreografie von Hans van Manen, der seiner Bedeutung im Tanzgeschehen entsprechend mit einer erklecklichen Anzahl von Werken im Repertoire der Compagnie vertreten ist. Im Spannungsfeld der Beziehung zwischen Mann und Frau bewegten sich diesmal mit viel sensiblem Gespür Alicia Amatriain und Marijn Rademaker.

Der Abschluss war der absolute Höhepunkt des Abends: Sue Jin Kang und Jason Reilly im Schluss-Pas de deux aus „Onegin“ von John Cranko: sie durchlitt in dieser Szene die Gefühlsverwirrung zwischen Liebe und Vernunft so intensiv, dass es zu Tränen rührte, wenn sie mit stummen Schrei allein zurückbleibt, nachdem sie mit Aufbietung der letzten Kräfte Onegin wegschickt, um doch die Vernunft siegen zu lassen. Immer wieder unglaublich, was diese zarte Tänzerin an personifizierter Rollenidentität ausstrahlt. Auch ihr Partner gefiel in seiner emotionalen Heftigkeit, die verlorene Liebe zurückzuholen.

Honorige Gäste aus aller Welt

Im Publikum saßen neben den wichtigen Honoratioren aus Politik, Wirtschaft und Kultur auch rund 200 Allumnis, ehemalige Tänzer/innen der Stuttgarter Compagnie, die gern der Einladung zum Geburtstagsfest gefolgt waren. – Als die ehemaligen Tänzer dann am Ende nach Aufruf von Reid Anderson alle auf die Bühne strömten, so war das ein wahrlich riesiges Familienfest: drei der bedeutendsten Choreografen (Hans van Manen, John Neumeier, Ji?í Kylián), die 4 Cranko-Musen (Richard Cragun, Birgit Keil, Marcia Haydée und Egon Madsen), dazu Ray Barra und Vladimir Klos; weiters Yseult Lendvai und Robert Conn; die drei jetzt beim Berliner Staatsballett engagierten Elisa Carillo Cabrera und Mikhail Kaniskin sowie Wieslaw Dudek; Ballettchef Paul Chalmer und Choreograf Jean-Christophe Blavier, aber auch Liz King, Judith Reyn und Evelyn Téri, und noch jede Menge weitere bekannte Namen aus der Ballettwelt, die nun hier wieder vereint waren und mit begeistertem Beifall, Jubel und Getrampel gefeiert und mit aus dem Schnürboden herabregnenden Papierschlangen und Luftballons übersät wurden: Ein glanzvolles, würdiges Ereignis für einen ganz besonderen Anlass: Happy Birthday, Stuttgarter Ballett!

Jubiläumsgala: 50 Jahre Stuttgarter Ballett, 13. Februar 2011 im Staatstheater Stuttgart