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jeromebelSeit 2005 hat Jérôme Bel mehrere Tänzerbiografien für die Bühne entworfen. Sein aktuelles Portrait ist dem französischen Tänzer Cédric Andrieux gewidmet. Man würde ihm ohne weiteres eine andere „Sportart“ zutrauen, wenn der große, kräftig gebaute Tänzer in einer weiten Trainingshose, T-Shirt und mit Sporttasche die leere Bühne betritt.

Cédric Andrieux hat in der Tat allen Widrigkeiten zum Trotz – beginnend beim Bezug zu seinem eigenen Körper – seinen Weg zum Tanz beschritten. Als er seine erste Tanzstunde besuchte, dachte sich die Lehrerin, ein wenig Tanz würde dem zwölfjährigen Cédric in seiner Persönlichkeitsentwicklung auf keinen Fall schaden.

Am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse meinte einer seiner Lehrer, dass sein Fuß unschön sei und er als Tänzer keine schönen Linien hervorbringe. Bei der Schlussaudition am Konservatorium galt er als Außenseiter und schnitt schließlich als Bester seines Jahrgangs ab. Kurz danach war er in New York bei Jennifer Muller engagiert, mit 22 Mitglied der Merce Cunningham Dance Company, der er acht Jahre angehörte. Wieviel an Selbst-Überwindung eine Tanzkarriere einfordern kann, davon weiß Cédric Andrieux zu erzählen. Auch davon, dass am Ziel künstlerischer Ambitionen zu sein, nicht unbedingt auch künstlerische Erfüllung bedeuten muss. Basierend auf Gesprächen und Andrieux’ Notizen hat Jérôme Bel diese Solo-Performance als Tanz-Theater entwickelt, in der in erster Linie das Wort, nicht die Bewegung das Sagen hat. Lapidar, selbstironisch, monoton ist der Sprachduktus des 33-jährigen Tänzers, der sein ganzes Leben in etwas mehr als einer Stunde Revue passieren lässt. Dabei rückt er nicht nur Pädagogen und seine in langen Jahren erarbeitete Tanztechnik, sondern auch den Tanzbetrieb am Theater, sein Idol Merce Cunningham, vor allem aber sich selbst in ein kritisches Licht. Amüsant, oft am Rande zur Karikatur, stets mit einem leicht bitteren Unterton. Das hautenge, einteilige Bühnentrikot der Merce Cunningham Dance Company, in das er kurz hineinschlüpft, legt jeden Makel des Körpers bloß, verzeiht keine unexakte Bewegung und ist eine Metapher für die Enge und kreative Unfreiheit, in der er sich bewegte, obwohl er sich am begehrten Ort seiner Tänzerträume befand.  Jérôme Bel gewährt seinem Protagonisten den großen, dunklen und leeren Bühnenraum als einzigen Begleiter, der die Einsamkeit und Exponiertheit des Tänzers in aller Deutlichkeit reflektiert. Der Choreograph spielt gleichzeitig auch mit dem Publikum, er provoziert, indem er die gewohnten Raumverhältnisse ausreizt, wenn er Andrieux überlang von der Bühne verschwinden lässt oder ihn, für die Länge eines Sting-Songs bewegungslos am Bühnenrand stehend,  zum Betrachter des Zuschauerraums macht.

Der Tanz, der zur Zeit gerne über sich selbst reflektiert, seine Legenden, Erinnerungen und Inspirationsquellen analysiert und bearbeitet, erhält mit Jérôme Bels “Cédric Andrieux” eine amüsante Facette tänzerischer Selbstbetrachtungen, die ein Tänzerleben, das in gewisser Weise gegen Strich gewachsen ist, als Innen- und Außensicht zugleich auf die Bühne bringt.

Jérôme Bel: “Cédric Andrieux”, 29. Juli 2010, Impulstanz, MQ Halle E

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